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Gemeinsam im Einsatz für eine solidarische Stadt

Antonia Steger (links) und Sabeth Tödtli von Urban Equipe. Foto: Reto Schlatter

Um gegen Leerkündigungen anzutreten, spannt der MV Zürich seit vergangenem Jahr mit der Urban Equipe zusammen. Der Zürcher Verein für zivilgesellschaftliches Engagement in der Stadtentwicklung zieht eine erste Bilanz.

Leerkündigungen nehmen zu – in der Stadt Zürich in besorgniserregendem Ausmass. Und die Entwicklung steht erst an ihrem Anfang, denn noch stehen die grossen Verdichtungen bevor. Findet die Verdrängung in den zentraleren Quartieren mit einst kleinen, günstigen Wohnungen aufgrund von Gentrifizierungsprozessen schon länger statt, ist es jetzt auch in den Aussenquartieren so weit. Also genau dort, wo in Siedlungen aus der Nachkriegszeit besonders viele vulnerable Menschen leben, insbesondere auch ältere. Das zeigt das sozialräumliche Monitoring, mit dem die Stadtentwicklung die Bevölkerungsdaten mit der aktuellen Bau- und Zonenordnung (BZO 2016) überlagert. «Es wird in diesen Quartieren kein Stein auf dem anderen bleiben», fasst Antonia Steger von der Urban Equipe die zu erwartende Entwicklung zusammen.

Steger hat Kulturanalyse und Linguistik studiert. Sie und Sabeth Tödtli, Architektin und Urbanistin, haben gemeinsam mit anderen den Verein Urban Equipe gegründet, mit dem sie sich bereits seit einigen Jahren für vielstimmige, solidarische Städte einsetzen. Aktuell sind sie im Kernteam zu viert und arbeiten alle hundert Prozent. Von einem kleinen Büro in einem zwischengenutzten ehemaligen Kinderheim im Zürcher Sihlfeld-Quartier aus initiieren sie partizipative Prozesse für Quartierentwicklungen, vertiefen sich in komplexe städtische Planungsinstrumente, machen Wissen zugänglich – und vieles mehr. Das Handbuch mit dem Titel «Organisiert euch!», das die Urban Equipe 2021 zusammen mit dem Wiener Kollektiv Raumstation herausgegeben hat, wurde von der Fachzeitschrift «Hochparterre» jüngst mit dem «Silbernen Hasen» gewürdigt.

Einsatz für bezahlbaren Wohnraum

Seit letztem Jahr verbringen Antonia Steger und Sabeth Tödtli auch viel Zeit mit Mieter*innen. Denn der MV Zürich und die Urban Equipe sind 2021 eine Kooperation eingegangen, um gegen die zunehmenden Leerkündigungen anzutreten. Walter Angst vom MV Zürich erzählt: «Die Urban Equipe bringt viel Erfahrung in städtebaulichen Fragen und der Initiierung von Partizipationsprojekten mit. Mit diesem Wissen ergänzen sie unsere Expertise im Mietrecht und der Wohnpolitik ideal, um das Thema Leerkündigungen und Verdrängung mehr in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken.»

Die Zusammenarbeit mit der Urban Equipe ermöglicht es dem MV Zürich, mehr Betroffenen zu zeigen, wie sie sich für ihre Rechte einsetzen können. Auslöser für die «Partnersuche» des MV Zürich war ein Aufruf Ende 2020 an Mieter*innen, die von einer Leerkündigung bedroht waren oder fürchteten, damit konfrontiert zu werden. Es meldeten sich viele. Walter Angst: «Wir wurden regelrecht geflutet mit Nachrichten und haben schnell gemerkt, dass wir eine starke Partnerin brauchen.» Für die Urban Equipe kam die Anfrage zur rechten Zeit: «Wir hatten schon länger den Wunsch, uns konkreter für bezahlbaren Wohnraum einzusetzen», sagt Sabeth Tödtli.

Von Wohnung zu Wohnung weitergereicht

Die Urban Equipe nimmt seither zusammen mit dem MV Zürich Kontakt mit betroffenen Mieter*innen auf, die sich melden. «Wir befassen uns mit jeder einzelnen Meldung. Es ist hart, die Einzelschicksale dahinter zu erleben», sagt Antonia Steger. Manche «Verdrängungsorte» seien gross, andere klein, erzählt sie. An manchen Orten seien privilegiertere Menschen betroffen, aber oft auch sehr vulnerable. Viele Betroffene fänden schlichtweg keine Wohnung in derselben Grösse zu einem ähnlichen Mietpreis und müssten aus der Stadt wegziehen, obwohl sie das nicht wollten. Nicht wenige müssten zum wiederholten Mal wegen Sanierung oder Abriss umziehen: «Meistens sagt die Verwaltung bei der Vertragsunterzeichnung nichts, auch wenn bereits klar ist, dass in absehbarer Zeit saniert oder abgerissen wird. So ist es mehreren ergangen, die sich bei uns gemeldet haben.»

So zum Beispiel auch einer jungen Frau mit Beistand. Bevor sie vergangenen Herbst eine neue Wohnung bezog, sei sie wiederholt von Wohnung zu Wohnung weitergereicht worden – im wahrsten Sinne des Wortes. «Und nur zwei Monate nach Einzug», erzählt Steger, «erhielt sie erneut die Kündigung – zwei Tage vor Silvester. Die Verwaltung hatte bei der Vertragsunterzeichnung längst gewusst, dass eine Sanierung ansteht.» Dabei gäbe es viele gute Alternativen zur gängigen Praxis der Leerkündigung: zum Beispiel ein vorübergehender Auszug, ein etappierter Umbau oder ein Wiedereinzugsrecht. «Neben der Mobilisierungsarbeit bei den Mieter*innen suchen wir darum auch das Gespräch mit den Eigentümer*innen. Es sind zwar bisher nur die wenigsten bereit, sich mit uns an den Tisch zu setzen. An den laufenden Gesprächen bleiben wir jedoch weiter dran und sind gespannt, wo diese uns hinführen», berichtet Antonia Steger. «Nebst der Verhinderung unnötiger Kündigungen ist es uns auch ein Anliegen, dass die Bewohner*innen bei Sanierungs- oder Neubauprojekten von Anfang an durch die Eigentümerschaft offen und transparent informiert werden. Es ist einfach ein ungutes Gefühl, wenn man nicht weiss, was wann geschehen wird. Es geht für die Menschen um einschneidende Veränderungen.»

Gesellschaftliches Umdenken anstossen

Dieser für die ganze Gesellschaft gefährlichen Entwicklung der zunehmenden Verdrängung durch Leerkündigungen will die Urban Equipe entgegenwirken. Das ist eines der dringenden Ziele des Vereins, nachdem Antonia Steger und Sabeth Tödtli in den vergangenen Monaten an vielen Orten direkt gesehen haben, was läuft. Und nachdem sie jetzt «noch besser verstehen, wie die Immobilienbranche funktioniert», so die beiden Frauen. Denn: «Ja», ergänzt Sabeth Tödtli, «ich bin in Zürich geboren, aber diese Stadt befremdet mich zusehends – ich will nicht an einem Ort leben, an dem so viele und immer mehr Ausschlüsse produziert werden. Abgesehen davon können wir uns das Leben in Zürich eh bald selbst nicht mehr leisten, ganz ehrlich gesagt.»

Die Urban Equipe erhofft sich, dass mit den zahlreichen aufkeimenden Diskussionen ein gesellschaftliches Umdenken angestossen wird. Sabeth Tödtli: «Es braucht ein neues Bewusstsein, bei allen Beteiligten, auch in den Ämtern und an den Verhandlungstischen. Da, wo Entscheidungen getroffen werden. Auch Architekt*innen müssen neue Praktiken entwickeln – zum Beispiel mutiger darin werden, bestehende Bausubstanz zu transformieren und ihre eigene Berufsrolle neu zu fassen. Wir brauchen ein breites Bekenntnis dafür, nicht mehr einfach alles abzureissen und Neues hinzustellen, sondern an einer solidarischen Stadt mit Wohnraum für alle weiterzubauen.» Und Antonia Steger ergänzt: «Das Bedürfnis der Menschen, mit denen wir in Kontakt sind, ist eigentlich sehr einfach verständlich: Sie möchten in einer für sie bezahlbaren Wohnung wohnen, die ihnen Freiheit für verschiedene Nutzungsmöglichkeiten gibt und wo sie nicht ständig Angst haben müssen, dass ihnen gekündigt wird.

Die direkte Zusammenarbeit zwischen dem MV Zürich und der Urban Equipe soll denn auch weitergehen. Und auch wenn ein erstes Finanzierungsgesuch dafür kürzlich gescheitert ist – die Urban Equipe bleibt dran an der Idee eines «Mieten-Mobils», mit dem sie die Mieter*innen dort kontaktiert und in ihren Rechten unterstützen kann, wo sie sind: bei sich zu Hause.

Text: Manuela Gallati, Mitarbeit: Esther Banz

Einmal haushoch, einmal hauchdünn

Für die Vermietung über Plattformen wie Airbnb gelten in der Berner Altstadt künftig bestimmte Regeln.

Am 13. Februar stimmten Bern und Genf über wohnpolitische Vorlagen ab. Während diejenige in Bern haushoch gewonnen wurde, ging die in Genf hauchdünn verloren.

Zuerst die gute Nachricht: Mit fast 82 Prozent der Stimmen haben die Stimmberechtigten der Stadt Bern am 13. Februar klar Ja gesagt zu einer Regulierung der Nutzung von Zweitwohnungen in der Altstadt. Der Mieterinnen- und Mieterverband Bern hatte die Vorlage begrüsst. Künftig dürfen Zweitwohnungen in jenen Stockwerken der Berner Altstadt, die dem Wohnen zugeteilt sind, nicht wiederholt für kurze Zeit und nicht mehr als 90 Nächte pro Kalenderjahr vermietet werden. Weiterhin erlaubt ist es, die selber bewohnte Wohnung für einzelne Tage oder Wochen – ebenfalls während maximal 90 Tagen pro Jahr – über eine Buchungsplattform unterzuvermieten.

Die neue Regelung ist vergleichsweise mild, so gilt etwa eine Besitzstandsgarantie: Wer bereits heute seine Zweitwohnung auf diese Weise vermietet, kann dies weiterhin tun. Trotzdem ist die hohe Zustimmung an der Urne ein klares Zeichen gegen die zuletzt zunehmende Tendenz, Wohnungen in der Unesco-Altstadt aus kommerziellen Gründen nur noch kurzzeitig an Tourist*innen zu vermieten. «Durch diese Praxis geht Wohnraum für die lokalen Bewohner*innen verloren. So wird das Angebot an Wohnungen in der Stadt Bern noch knapper, als es ohnehin schon ist», sagt die Präsidentin des MV Bern, Edith Siegenthaler. Gleichzeitig schade es dem Zusammenhalt und der Lebensqualität im Quartier, wenn Wohnungen zunehmend nur noch an Tourist*innen vermietet würden.

Unsoziales und diskriminierendes Gesetz

Wenig erfreulich ist der Ausgang der Abstimmung über das geänderte Wohngesetz in der Stadt Genf. Mit einem hauchdünnen Ja von 50,69 Prozent ging das Referendum verloren, das der lokale Mieterinnen- und Mieterverband (Asloca) zusammen mit der Caritas und dem Centre Social Protestant ergriffen hatte. Konkret ging es bei der Änderung um eine Verschärfung der Kriterien, gemäss denen Einwohner*innen der Stadt Genf Zugang zu einer Sozialwohnung erhalten. Neu muss eine Person seit mindestens vier Jahren ohne Unterbruch ihren Wohnsitz in Genf haben. Bisher reichten zwei Jahre als Voraussetzung. Zurzeit sind im Kanton fast 8000 Gesuche um eine subventionierte Wohnung hängig. Die Wartezeit beträgt zwei bis vier Jahre.

Der systematische Kampf der Rechten und der Immobilienbranche gegen die Schaffung von ausreichend günstigem und sozialem Wohnraum werde zur Folge haben, dass die Zahl der unerledigten Gesuche weiter steigt, schreibt die Asloca in einer Mitteilung. Die Genfer Regierung, die sich ebenfalls gegen die Verschärfung ausgesprochen hatte, bedauert den Entscheid der Stimmbevölkerung. Während die Rechte sich damit brüste, die Wartelisten zu verkleinern, werde durch das Gesetz keine einzige zusätzliche Sozialwohnung entstehen, sagte der zuständige Regierungsrat Antonio Hodgers gegenüber der Zeitung «Le Temps».

Text: Andrea Bauer

Hotline

Fabian Gloor beantwortet Ihre Fragen

Die Vermieterin reagiert nicht

Mein Backofen hat den Geist aufgegeben. Sofort habe ich meine Vermieterin mit eingeschriebenem Brief darüber informiert und sie aufgefordert, ihn zu reparieren. Sie hat bisher nicht reagiert und ich muss seit zwei Monaten auf meine geliebten Tiefkühlpizzas verzichten. Wie weiter?

Ihr Unmut ist nachvollziehbar. Leider gibt es auch in der Gilde der Vermieter*innen schwarze Schafe. Ein defekter Backofen ist ein klassischer Mietmangel. Gemäss Artikel 256 OR ist die Vermieterschaft verpflichtet, Ihnen das Mietobjekt in einem «zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand» zu übergeben und in diesem zu erhalten. Da der Backofen zum Mietobjekt gehört, muss er einwandfrei funktionieren. Um Ihre Vermieterin zum Handeln zu motivieren, rate ich Ihnen, den Mietzins bei der Mietschlichtungsbehörde zu hinterlegen. Vorab sollten Sie unbedingt einige Formalitäten beachten. In einem eingeschriebenen Brief müssen Sie der Vermieterin den Mangel noch einmal melden und Ihr eine angemessene Frist zur Behebung setzen. Im selben Brief müssen Sie die Hinterlegung androhen, sollte der Mangel nicht innerhalb der Frist behoben sein. Bleibt die Vermieterin untätig, können Sie den Mietzins auf ein Sperrkonto bei der Schlichtungsbehörde einzahlen. Machen Sie das unbedingt fristgerecht. Als Nächstes müssen Sie die Vermieterin über die Hinterlegung informieren. Nach der Einzahlung haben Sie 30 Tage Zeit, ein Schlichtungsverfahren einzuleiten. Im Rahmen der Schlichtungsverhandlung gelingt es in der Regel, Vermieter*innen in die Pflicht zu nehmen. Neben dem Recht auf Mängelbehebung haben Sie auch das Recht auf eine angemessene Mietzinsreduktion.

Der Backofen geh rt zum Mietobjekt und muss deshalb einwandfrei funktionieren, andernfalls liegt ein klassischer Mietmangel vor. Foto: 123rf

Darf ich die Wohnung meiner Tochter zur Verfügung stellen?

Ich miete seit 2 Jahren eine 2-Zimmer-Wohnung. Meine 19-jährige Tochter hat bisher in einer WG gelebt. Nun beginnt sie mit dem Studium. Deshalb möchte ich ihr meine Wohnung unentgeltlich zur Verfügung stellen und mir eine andere Wohnung suchen. Als meine Vermieterin davon erfuhr, drohte sie mir mit einer ausserordentlichen Kündigung. Sie stellt sich auf den Standpunkt, ich hätte den Mietvertrag verletzt. Zu Recht?

Vermieterschaft und Mieterschaft können vereinbaren, wie das Mietobjekt zu gebrauchen ist. Die Vertragsparteien können also definieren, ob die Räumlichkeiten beispielsweise als Wohnung, Lager, Büro oder Atelier gebraucht werden dürfen. Vertraglich können sogar weitere Modalitäten des Gebrauchs festgelegt werden, etwa dass die Wohnung persönlich bewohnt werden muss. Wurde im Mietvertrag hingegen nichts Derartiges vereinbart, so gilt der «übliche» Gebrauch. Zum üblichen Gebrauch einer Wohnung gehört es, Partner*innen, Kinder oder andere nahestehende Personen wie etwa Freunde bei sich zu beherbergen. Da Ihnen Ihre Tochter nichts für die Wohnung bezahlen muss, ist sie nicht Untermieterin. Entsprechend kommt die Regel, wonach die Vermieterschaft der Untermiete zustimmen muss, hier nicht zum Tragen. Ob es sich um eine unentgeltliche Gebrauchsleihe handelt, welche die Vermieterschaft unter bestimmten Umständen tatsächlich verbieten könnte, spielt im vorliegenden Fall ebenfalls keine Rolle. Denn Sie haben die Wohnung nicht irgendjemandem überlassen, sondern Ihrer Tochter in Ausbildung. Deshalb kommt hier nicht das Mietrecht, sondern das Kindsrecht zur Anwendung. Gemäss Art. 276 ZGB müssen die Eltern für den Unterhalt des Kindes sorgen. Dazu gehören neben den Kosten für Erziehung, Ausbildung und Nahrung auch diejenigen für die Unterkunft. Und zwar auch über den Zeitpunkt der Mündigkeit des Kindes hinaus, sofern dieses noch keine angemessene Ausbildung abgeschlossen hat und es für die Eltern finanziell zumutbar ist. Wenn Sie also Ihrer Tochter Ihre gemietete Wohnung unentgeltlich zur Verfügung stellen, gehört dies zum normalen Gebrauch der Wohnung. Eine ausserordentliche Kündigung des Mietvertrags mangels persönlichen Gebrauchs wäre daher unwirksam.

Explodierende Wohnkosten

In der österreichischen Hauptstadt Wien sind die Mieten in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent angestiegen. Foto: 123rf

Eine Mitgliederumfrage des Mietervereins Österreich zeigt den wohnpolitischen Reformstau, unter dem unser Nachbarland leidet.

Fast gleichzeitig mit dem MV Schweiz haben der Mieterverein Österreich (MVÖ) und die Gewerkschaft vida letzten Herbst ihre Mitglieder zu aktuellen Aspekten rund um die Themen Mieten und Wohnen befragt. Ende Jahr präsentierte der österreichische Schwesterverband des MV Schweiz in seiner Mitgliederzeitung «Fair Wohnen» die Resultate der Umfrage. Die Antworten zeigen die grossen Probleme und den Reformstau der österreichischen Wohnpolitik auf.

Mehrheit von Preisanstieg betroffen

Am meisten springt ins Auge, dass 58 Prozent der Befragten angaben, persönlich von den Preissteigerungen der letzten Jahre «sehr betroffen» oder «ziemlich betroffen» zu sein. Dafür verantwortlich machen 67 % der Befragten die «Spekulation mit Immobilien», die Hälfte sieht die Verantwortung dafür auch in der Politik. Tatsächlich sind die Mieten in Österreich gemäss dem wirtschaftsnahen Thinktank Agenda Austria zwischen 2010 und 2020 um satte 44 Prozent angestiegen. Dabei sind sowohl Wohnungen in Privatbesitz berücksichtigt als auch Genossenschaften und Gemeindewohnungen, welche den Durchschnitt nach unten ziehen. Dieser Anstieg ist mehr als doppelt so hoch wie die Teuerung im gleichen Zeitraum (19,8 Prozent).

Ein grosses Problem sind die zunehmenden Befristungen bei Mietverträgen. Gemäss Statistik Austria waren 2019 bereits 22 Prozent aller bestehenden Mietverträge in Österreich befristet (inklusive der in aller Regel unbefristet vermieteten Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen), 2010 waren es erst 14,5 Prozent. Im privaten Segment ist bei einem Neuabschluss eine Befristung gemäss MVÖ heute sogar die Regel.

Recht auf Wohnen

MVÖ und vida fordern angesichts dieser Resultate von der Bundesregierung ein Entlastungspaket für die unteren und mittleren Einkommensklassen. Das Paket müsse gesetzliche Massnahmen zur Eindämmung der Spekulation, Preisobergrenzen, eine Mietrechtsreform, sozial gerecht gestaltete Massnahmen gegen den Klimawandel sowie Massnahmen gegen Armut durch zu hohe Energiekosten umfassen. Im Kampf gegen die ausufernde Immobilienspekulation fordern die Verbände dringende Massnahmen gegen die steigenden Grundstückspreise. Wohnen müsse in der österreichischen Verfassung als Grundrecht verankert werden, und soziale sowie gesellschaftspolitische Aspekte im Bereich Wohnen müssten gegenüber der Wettbewerbsfreiheit und Profitgier eindeutigen Vorrang erhalten.

MVÖ fordert «Mietrecht für alle»

Die Belastungsgrenzen seien längst erreicht und für junge Familien und Alleinerziehende oft schon deutlich überschritten, erklärt der MVÖ-Präsident Georg Niedermühlbichler in «Fair Wohnen»: «Wenn heute selbst ein durchschnittliches Einkommen für einen grossen Anteil der Wohnungen am privaten Mietsektor nicht mehr ausreicht, während auf der anderen Seite die Immobilienwirtschaft satte Gewinne feiert, dann ist der sogenannte freie Wohnungsmarkt ganz offenbar aus den Fugen geraten.»

Das österreichische Mietrecht kennt zwar Obergrenzen für Mieten und einen Kündigungsschutz, aber nur für einen Teil der privaten Wohnungen. So entscheiden historisch entstandene Stichtage, ob ein Mietverhältnis dem Mietrechtsgesetz unterliegt oder nicht. Konkret gilt die Mieten-Obergrenze dadurch praktisch nur für Altbauten, die vor 1945 errichtet wurden. Das betrifft in Österreich nur rund 40 Prozent aller privaten Mieten. Und da sich der Zeitpunkt nicht verschiebt, nimmt die Anzahl der betroffenen Liegenschaften wegen Abbrüchen stetig ab – gemäss einer von der Arbeiterkammer durchgeführten Studie waren es im Jahr 2009 noch 54 Prozent, aktuell wie erwähnt noch 40. Für die restlichen 60 Prozent der Wohnungen gibt es weder eine Mietzins-Obergrenze noch andere Regelungen etwa zu Ablösen, Nebenkosten oder zur Behebung von Schäden.

Text: Andrea Bauer

News

Mieten in Bergregionen steigen

Die Angebotsmieten sind im letzten Jahr schweizweit um 1 Prozent angestiegen, wie eine Studie von homegate.ch zeigt. Besonders deutlich ist der Anstieg in den Berggebieten. An der Spitze liegt Graubünden, wo die Mieten um 4,7 Prozent zulegten. Deutlich über dem Schnitt liegen auch Uri und Nidwalden (2,7 bzw. 2,5 Prozent). Das Interesse an Ferienwohnungen in den Bergen habe seit Beginn der Pandemie stark zugenommen und konzentriere sich wegen der Reisebeschränkungen vermehrt auf inländische Objekte, so homegate.ch. Zusätzlich erhöht worden sei das Interesse durch das Homeoffice.

Härtere Strafen für Mietwucher

Der deutsche Bundesrat fordert eine strengere Bekämpfung von Mietwucher. Auf Initiative von fünf Bundesländern sollen Mieten, die 20 Prozent über dem ortsüblichen Schnitt liegen, als Wucher gelten, sofern das Angebot an günstigem Wohnraum gering ist. Ausserdem soll die Bussen-Obergrenze bei übersetzten Mieten neu 100 000 Euro betragen statt wie bisher 50 000 Euro.

Blackrock in der Schweiz

Der weltgrösste Vermögensverwalter Blackrock besitzt rund 6 Prozent aller Aktien der Schweizer Immobilienunternehmen: im Wert von rund 2 Milliarden, auf 17 Firmen verteilt. Diese Zahlen hat das Schweizer Kollektiv WAV recherchiert. In den letzten zehn Jahren hat der Konzern seine Anteile an Schweizer Immobilienfirmen verzwanzigfacht. Rund die Hälfte der Investitionen betreffen die Swiss Prime Site AG, an der Blackrock 12 Prozent hält.

Studie zu Obdachlosigkeit

Schätzungsweise 2200 Menschen in der Schweiz sind obdachlos, 8000 weitere von Wohnungsverlust bedroht. Dies zeigt eine Studie der Hochschule für Soziale Arbeit Nordwestschweiz. Obdachlosigkeit finde sich vor allem in Grossstädten und grösseren Agglomerationen, während drohender Wohnungsverlust auch in Zentrumsgemeinden in ländlichen Regionen vorkommt. Gründe sind oft Konsum-, Schulden- sowie Drogenprobleme. Auch soziale und migrationsbedingte Ursachen spielen eine Rolle.

Editorial

Andrea Bauer
Verantwortliche Redaktorin «Mieten + Wohnen»

Welchen Anteil Ihres Einkommens geben Sie für die Miete aus – 20 Prozent, oder 30? Je nachdem, wie hoch Ihr Einkommen ist, könnte der Anteil sogar bei über 40 Prozent liegen. Die Wohnkosten sind für die meisten Menschen in der Schweiz der mit Abstand grösste fixe Budgetposten. Ein Grund dafür ist, dass viele Mietzinse höher sind, als das Gesetz es erlaubt. Das zeigt eine aktuelle Studie des Mieterinnen- und Mieterverbands, die wir für Sie zusammengefasst haben. Im letzten Jahr summierten sich die zu viel bezahlten Mietzinse auf über 10 Milliarden Franken. Dieses Geld fliesst zu Unrecht von den Taschen der Mieter*innen in die Taschen der Vermieter*innen. Zu Unrecht deshalb, weil unser Mietrecht eine Begrenzung der Rendite vorsieht, die letztere mit ihren Wohnungen erzielen dürfen. Weil aber diese Begrenzung von niemandem kontrolliert wird, wird sie auch nicht eingehalten. Die Folge davon: Die Mieten sind viel höher, als es das Gesetz erlaubt, und sie steigen stetig weiter. Der MV fordert darum dringend die Einführung einer Kontrolle der Renditen. Es darf nicht sein, dass unser Mietrecht – und unsere Verfassung –, welche die Mietenden vor überrissenen Mieten schützen sollten, derart missachtet werden.

Das Geld, das die Mietenden zu viel für ihre Mieten zahlen, fehlt ihnen anderswo. Zum Beispiel in der Altersvorsorge: Wenn mit der Pensionierung plötzlich das Einkommen sinkt, fallen die Wohnkosten noch mehr ins Gewicht als vorher. Und wer während des Arbeitslebens kein grosses Vermögen aufbauen konnte oder geerbt hat, kommt allein mit der Rente bald einmal nicht mehr über die Runden. Die Belastung ist jedoch sehr unterschiedlich gross, wie in einer kürzlich erschienenen Publikation nachzulesen ist: Während vor allem alleinstehende Rentner*innen über 40 Prozent für die Miete ausgeben, sind es bei Ehepaaren mit hohem Einkommen im Schnitt nur 10 Prozent. Wir haben mit der Co-Autorin Nora Meuli über ihr Buch «Ungleichheit im Alter» gesprochen.

Wasserkocher im Test

Wasserkocher haben die Herdpfanne schon lange abgelöst. Sie sind schneller und handlicher – und senken den Energieverbrauch um bis zu 50 Prozent. Aber nicht alle Modelle sind gleich gut.

Die Hauptbotschaft zum Kauf eines Wasserkochers ist einfach: Immer nur so viel Wasser erhitzen wie nötig. So lässt sich am meisten Energie sparen. Darum sollte man zuerst die Menge Wasser abmessen, die es für eine Tasse Tee, Kaffee oder Suppe braucht. Das sind meist nur etwa zwei Deziliter. Wichtig ist, dass das Gerät eine kleine Minimalfüllmenge hat und auch bloss zwei Deziliter Wasser erhitzen kann. Erwärmt man in der Regel nur kleine Mengen Wasser, reicht ein Gerät mit der Gesamtfüllmenge von einem halben Liter.

Ein Wasserkocher kann aber nicht nur für das Kochen von Tee- oder Kaffeewasser verwendet werden. Wer häufig Pasta kocht, braucht regelmässig eine grosse Menge kochendes Wasser. Am effizientesten erhitzt man das Spaghettiwasser im Wasserkocher und schüttet es dann in den Topf um. Einen Liter Wasser zu erhitzen dauert in der Regel 3 bis 4 Minuten.

Oft reichen 80 Grad

Oft muss das Wasser gar nicht kochend heiss sein. Für Grüntee etwa oder für eine Bettflasche reichen schon 80 Grad. Dafür ist es ideal, wenn man die Temperatur beim Wasserkocher individuell einstellen und auf die gewünschte Wassertemperatur absenken kann. Weitere Tipps: Eine Warmhaltefunktion im Wasserkocher ist wenig sinnvoll, denn das braucht unnötig Energie. Besser, man erhitzt die noch warme Restmenge von neuem.

Gut zu wissen

Topten empfiehlt zwei Dutzend Wasserkocher, die getestet wurden. Es handelt sich durchwegs um energieeffiziente Geräte. Ist der Wasserkocher in Betrieb, sollten andere leistungsstarke Geräte wie Kaffeemaschine oder Staubsauger nicht eingeschaltet werden, da der Kocher viel Leistung beansprucht, in der Regel 2000 Watt bei 10 Ampere. Die von Topten geprüften Geräte verfügen über eine einstellbare Temperaturwahl und über eine gut sichtbare Wasserstandsanzeige. Ob die Öffnung genügend gross zum problemlosen Befüllen und Reinigen ist, wurde beim Test ebenfalls berücksichtigt.

Hülle: Verbrennungsgefahr

Beim Kauf des Wasserkochers sollte man ein Modell mit wärmeisolierter Hülle bevorzugen, was den Wärmeverlust, letztlich aber auch die Verbrennungsgefahr senkt. Beim Aufheizen sind zwar alle Geräte top, doch bei den meisten wird gleichzeitig das Gehäuse heiss, und zwar bis zu 70 Grad. Dieser Sicherheitsmangel kann, gerade wenn Kinder im Haushalt sind, eine Gefahr darstellen. Es genügt nicht, wenn die Bedienungsanleitungen nur vor heissen Stellen warnen.

Material: Kein Plastik

Ein weiterer Punkt, auf den es zu achten gilt, ist die Beschaffenheit des Materials bei der Innenverkleidung des Wasserkochers.«Kassensturz» und «Saldo» haben kürzlich acht Wasserkocher mit Temperatureinstellungen zwischen 40 und 100 Grad getestet. Die Modelle waren innen ausschliesslich aus Glas oder Metall, denn bei Geräten aus Plastik können sich beim Erhitzen kleinste Kunststoffteilchen lösen.

Text: Stefan Hartmann, Topten

So geht es den Mietenden

Wie schwierig war es bei Ihrer letzten Wohnungssuche, ein geeignetes und bezahlbares Objekt zu finden? Habe Sie Probleme mit Ihrer Vermieterschaft (und wenn ja, welche)? Haben Sie bei der letzten Senkung des Referenzzinssatzes eine Mietreduktion erhalten? Worauf soll der Mieterinnen- und Mieterverband seine Arbeit künftig fokussieren? Diese und weitere Fragen stellte die Forschungsstelle Sotomo im Herbst unseren Mitgliedern. Rund 18 000 Personen aus allen Landesteilen der Schweiz haben geantwortet, entstanden ist die erste grosse Mieter*innen-Umfrage der Schweiz. M+W hat die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst.

Schwierige Wohnungssuche

Die Schweiz ist mit einem Anteil von rund 60 Prozent ein Land der Mietenden. Das macht die Wohnungssuche aber nicht einfacher. Für rund drei Viertel der Befragten gestaltete sich die letzte Suche nach einer bezahlbaren und geeigneten Wohnung schwierig (siehe Abbildung links).
Besonders schwierig war die Suche nach einem neuen Zuhause in den grossen Städten. Aber auch unter den Befragten, die auf dem Land wohnen, gaben noch fast zwei Drittel an, die letzte Wohnungssuche habe sich «eher schwierig» oder «sehr schwierig» gestaltet. Grössere Mühe als andere, eine passende Wohnung zu finden, hatten Familien mit minderjährigen Kindern sowie Personen, bei denen die Miete mehr als einen Drittel des Budgets ausmacht.

Ungelöste Probleme

Auf die Frage, ob sie Probleme mit der Vermieterschaft hatten oder haben, antworteten 71 Prozent mit Ja. Die Top Five der Probleme sind: Reparaturen/Unterhalt, Anspruch auf Mietzinssenkung, Beanstandung von Mängeln (z. B. Schimmel), Hausordnung/Probleme mit der Nachbarschaft und Nebenkosten(-abrechnung). Ein grosser Teil der Probleme waren zum Zeitpunkt der Befragung ungelöst.
Es zeigt sich, dass nicht alle diese Probleme von den Befragten als gleichermassen belastend angesehen werden. Überdurchschnittlich oft genannt und gleichzeitig als überdurchschnittlich belastend angesehen wurden Probleme in Zusammenhang mit der Beanstandung von Mängeln, der Hausordnung, Nachbarschaftskonflikten oder mit Sanierungen. Am meisten belastet die Mietenden jedoch die Angst vor einer Kündigung. Danach gefragt, ob sie innerhalb der nächsten zwei Jahre eine Kündigung befürchten, antworteten 17 Prozent der Befragten mit Ja. Hauptgrund für die Befürchtungen sind Sanierungen (41 Prozent).

Beziehung zur Vermieterschaft

Für über vier Fünftel der Befragten ist eine gute Beziehung zur Vermieterschaft wichtig. Knapp die Hälfte bezeichnete diesen Aspekt sogar als sehr wichtig. Je älter eine Person ist, desto wichtiger ist ihr ein gutes Verhältnis zu ihrer Vermieterschaft: So bezeichneten 55 % der über 65-Jährigen dies als sehr wichtig, während es bei den 18- bis 35-Jährigen mit 34 Prozent deutlich weniger sind. Mehr zu diesen Zahlen lesen Sie im Kommentar von Carlo Sommaruga.

Erfolg bei Anfechtungen

Wenn der Referenzzinssatz sinkt – und das tut er seit 2008 unablässig –, haben die Mietenden einen Anspruch auf eine Reduktion ihres Mietzinses. Die meisten Vermieter*innen senken den Mietzins allerdings nicht unaufgefordert, wie die Zahlen dazu zeigen. Lediglich 6 Prozent der Befragten gaben nämlich an, ihre Vermieterschaft habe die letzte Senkung des Referenzzinses im März 2020 von sich aus weitergegeben. 39 Prozent der Befragten forderten die Mietzinsreduktion ein, 42 Prozent nicht (siehe Abbildung rechts). Dabei lohnt sich die Einforderung der Mietzinsreduktion, wie die Zahlen zeigen: Von den 39 Prozent der Befragten, die angaben, die Senkung eingefordert zu haben, waren 63 Prozent erfolgreich. Interessant ist die Begründung derjenigen Befragten, welche die Senkung nicht einforderten: Rund die Hälfte gab an, die Beziehung zur Vermieterschaft nicht belasten zu wollen. Gut ein Fünftel antwortete, nicht über den Anspruch Bescheid gewusst zu haben.
Eine noch grössere Erfolgsquote als beim Referenzzinssatz zeigt sich beim Anfangsmietzins: Von denjenigen, die einen zu hohen Anfangsmietzins anfochten, waren mehr als drei Viertel zumindest teilweise erfolgreich.

Das wünschen sich die Mietenden

Mit Blick auf die künftige politische Arbeit des Mieterinnen- und Mieterverbands wurden die Teilnehmenden gefragt, für welche Anliegen sich der Verband vorrangig einsetzen solle. Am meisten Zuspruch erhielt mit 90 Prozent der Vorschlag einer automatischen Weitergabe der Mietzinssenkung bei einer Senkung des Referenzzinssatzes. Dies deckt sich mit den Angaben zum Referenzzinssatz, wonach nur ganz wenige Vermieter*innen bei einer Senkung den Mietzins von sich aus gegen unten anpassen. Mit 80 oder mehr Prozent ebenfalls grossen Zuspruch erhielten die Förderung von preisgünstigem Wohnraum, die Einschränkung von Spekulation und ein besserer Kündigungsschutz (z. B. bei Renovationen oder Sanierungen). Generell wünschen sich die Befragten rechtliche Verbesserungen, durch die die Pflicht wegfallen würde, selber aktiv zu werden und damit potenziell das Verhältnis zur Vermieterschaft zu gefährden. Dazu gehören die bereits genannte automatische Weitergabe der Mietzinssenkung, die Offenlegung des Mietzinses der Vormieterschaft oder eine Kontrolle der Rendite der Vermieterschaft.

«Wohnen ist nicht privat»

Immer mehr Wohnungen sind im Besitz von renditeorientierten Unternehmen. Es wird en masse abgerissen, neu gebaut, luxussaniert. Die Mieten steigen. Was bedeutet das für die Städte? Wie wehren sie sich? Ein Gespräch mit Philippe Koch, Professor für urbane Prozesse an der ZHAW.

M+W: Kürzlich diskutierten Sie an einem Podiumsgespräch in Zürich mit einer Aktivistin aus Berlin darüber, wie dort – gerade eben – eine Initiative angenommen wurde, die renditeorientierte Immobilienkonzerne enteignen will. Hätte eine solche Initiative auch hierzulande eine Chance?

Philippe Koch: Nein. Die Voraussetzungen sind ganz andere. In Berlin verkaufte die hoch verschuldete Stadt ausgerechnet ihre eigenen Sozialwohnungsbauten, um an Geld zu kommen. So etwas hat es hierzulande nie gegeben. In Zürich etwa gibt es eine starke Vorstellung, dass der Staat zusammen mit Genossenschaften das Wohnproblem lösen kann – und gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften mit ihrer teils über hundertjährigen Geschichte garantieren bis heute Wohnsicherheit auch an zentralen Lagen. Der Genossenschaftsanteil ist allerdings nur in Zürich so hoch.

Wo sehen Sie heute die Brennpunkte im Zusammenhang mit dem Wohnen, räumlich-geografisch und sozialpolitisch?

Ganz klar: Je länger, je mehr an den Rändern der Stadt, in räumlichen Gebieten, von denen man wenig weiss, im «Nowhereland». Dort leben die Leute, die am meisten unter den räumlichen Veränderungen leiden. Es sind jene, die kein Stimm- und Wahlrecht haben und die Sprache nicht beherrschen. Für die politischen Parteien sind sie elektoral uninteressant, weil sie nicht wählen können.

Die Siedlung Bergacker in Zürich ist so ein Beispiel am Rand der Stadt. Über 400 bezahlbare Wohnungen wollen die Eigentümer Swiss Life und Habitat 8000 abreissen. Die Folge solcher Leerkündigungen ist oft, dass die Mieter*innen das Quartier oder sogar die Stadt verlassen müssen, weil sie nichts mehr finden, das sie sich leisten könnten. Was bedeutet es für die Struktur der Stadt, wenn im grossen Stil Nachbarschaften kaputt gemacht werden?

Dieser Punkt wird politisch tatsächlich viel zu wenig thematisiert – in der Forschung wird er aber vermehrt hervorgehoben. Es geht um die soziale Bedeutung des Wohnens, um die soziale Infrastruktur, die an das Wohnen gebunden ist und die vom Wohnen ausgeht. Diese Infrastruktur kann nur bestehen, wenn die Leute eine gewisse Bestandesgarantie haben.

Eine Wohnungs-Garantie?

Nein, ich meine nicht ein lebenslanges Recht, in einer bestimmten Wohnung zu bleiben. Aber eine Garantie, im vertrauten Umfeld, im Quartier bleiben zu können, so etwas müsste etabliert werden können. Denn die sozialen Netzwerke sind wichtig fürs Quartier, da wird viel Wissen weitergegeben und soziales Kapital aufgebaut. Dazu gibt es etliche Studien.

Was bedeuten diese nachbarschaftlichen Verbindungen zwischen Menschen?

Man fühlt sich zugehörig, ohne dass man sich zwingend als gleich wahrnimmt. Es geht nicht um Identität und Homogenität, sondern um Vertrautheit, die über alltägliche Begegnungen zwischen Fremden geschaffen wird – so können sogenannte «Communities of Strangers» entstehen. Das ist meiner Meinung nach das Ideal einer städtischen Gesellschaft: eine grosse Vielfalt an Menschen, die sich gegenseitig respektieren, ohne dass sie sich vergemeinschaften müssen. Das ist das eine, das extrem wichtig ist.

Und das andere?

Dass diese Leute, die unfreiwillig die Stadt verlassen, nicht «nur» ihre Wohnung verlieren, sondern auch ganz vieles, das die Stadt gewährleistet. Subventionierte ausserschulische Kinderbetreuung etwa. Oder Gemeinschaftszentren, Schwimmbäder – all diese Angebote, die in der Stadt selbstverständlich sind, gibt es in Agglomerationsgemeinden deutlich weniger. Man muss sich überlegen, was das für all die Kinder bedeutet, die ohnehin nicht die gleichen Voraussetzungen haben, rein vom ökonomischen und sozialen Kapital her, das die Eltern mitbringen. Und dann haben sie nicht einmal mehr das, was man in der Stadt mit den öffentlichen Angeboten zu kompensieren versucht. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. Man weiss auch wenig darüber, wohin diese Leute überhaupt gehen. Und auch noch einen dritten Punkt gilt es zu bedenken: Eine Stadt, die sich nicht verändert, die nicht weiter baut und wächst, sich nicht öffnet für Leute, die zuziehen möchten, läuft Gefahr, zur geschlossenen Stadt zu werden. Zu einer Stadt der Privilegierten, wo es plötzlich selbstverständlich ist, dass Wohnungen 4000 Franken kosten dürfen.

Philippe Koch ist Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt Stadt- und Agglomerationspolitik. Seit fünf Jahren lehrt und forscht er an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen. Als Sozialwissenschaftler interessieren ihn die politischen und sozialen Ursachen und Wirkungen räumlicher Transformationen und wie diese sichtbar oder unsichtbar gemacht werden. Aktuell untersucht er gemeinsam mit Forschenden des ETH Wohnforums die Rolle der Genossenschaften in der Schweiz und in Uruguay beim Bereitstellen von gemeinnützigem, bezahlbarem Wohnraum. Gemeinsam mit Hanna Hilbrandt, Lindsay Blair Howe und David Kaufmann hat er «urban publics Zurich» (upZ) gegründet, um den Austausch zwischen Stadtforschung und der Praxis der Stadtproduktion zu fördern. 

Welchen Stellenwert hat das Wohnen eigentlich in der Stadtforschung?

Einen zentralen. Man kann auch sagen: Ein Ursprung der Stadtforschung war die Beschäftigung mit dem Wohnen als ökonomischem, kulturellem, aber auch politischem Phänomen. Friedrich Engels’ Texte über die Wohnsituation der Arbeiter im Norden von England sind hier zentral. Engels war der Erste, der das Wohnen auch unter dem Aspekt der Ausbeutung anschaute. Später war das lange Zeit kein Thema mehr. In der Nachkriegszeit gab es Wohnraum für mehr oder weniger alle. Und die Stadtforschung zum Wohnen wurde folglich weniger dringlich.

Wann änderte sich das wieder?

Eine ganz neue Bedeutung für die Stadtforschung erhielt das Thema Wohnen nach der Finanzkrise 2008. Da zeigte sich – in England und vor allem auch in den USA – wieder in aller Deutlichkeit, dass angemessenes oder menschenwürdiges Wohnen keine Selbstverständlichkeit ist und vom Markt allein nicht bereitgestellt werden kann. Und es zeigte sich sogar auch, dass die Politik und die Entscheidungsträger durchaus bereit sind zu akzeptieren und zu tolerieren, dass massenweise Leute ihre Wohnungen respektive Häuser verlassen und auf der Strasse leben müssen. Dass in einem kapitalistisch-demokratischen Staat Leute in Zelte flüchten müssen, hatte man zuvor lange Zeit nicht mehr gesehen. Kam dazu, dass Investoren unzählige dieser Häuser aufkauften und sie seither selber vermieten. Als Folge dieser Entwicklungen entstand eine neue, urbane Wohnforschung, die sich vermehrt als aktivistisch versteht.

Auch in der Schweiz ist immer mehr Wohnraum im Besitz von institutionellen Eigentümerschaften. Was ist die Folge davon für die Städte?

Das ist bislang schwierig zu sagen. Das Gute hierzulande ist, die Lex Koller verhindert, dass ausländische Kapitalströme ungehindert in den Schweizer Immobilienmarkt fliessen und in grossen Mengen und anonym Wohnraum gekauft werden kann. Gleichzeitig ist innerhalb der Schweiz viel Kapital vorhanden, das diese Rolle ebenfalls übernehmen kann. Und die Käufer wollen Rendite abschöpfen …

… vor allem mit den Mieten?

Nicht nur. Viele Unternehmen kaufen jetzt vor allem wegen des Buchwerts Liegenschaften. Sie müssen das Geld irgendwo deponieren. Das hat in den letzten zehn Jahren unter anderem aufgrund der Tiefzinspolitik angefangen.

Mit welchen Konsequenzen?

Was man in der Stadt Zürich jetzt schon sieht, ist, dass immer mehr natürliche Personen ihre Häuser verkaufen. Das andere ist, dass viele Pensionskassen oder andere institutionelle Anleger abreissen und neu bauen wollen, um möglichst viel Geld zu binden. Die Erträge aus den Mieten wären vermutlich höher, wenn man sanieren oder weiterbauen würde. Aber wenn man hundert Millionen hat und nicht weiss, wo anlegen, dann lohnt sich Abriss und Neubau immer.

Ist für die Grossen der Mietertrag nur noch Peanuts im Vergleich zur Wertsteigerung einer Immobilie?

Durchaus. Das Perfide ist: Der Wert von Häusern nahm in den letzten dreissig Jahren stetig zu, jedes Jahr. Ich nehme an, dass die grossen institutionellen Anleger wie Black Rock heute so funktionieren, dass sie sagen: Wir haben zwar laufende Erträge aus Mieten, das ist gut; aber vor allem bauen wir ein Portfolio auf, das wir gegebenenfalls neu schnüren und weiterverkaufen können – und dann wird richtig Gewinn gemacht. Das funktioniert natürlich nur mit einem grossen Portfolio.

Was heisst es für die Planbarkeit einer Stadt, wenn massenhaft Investoren kommen und Immobilien kaufen? Hat die Stadtregierung überhaupt noch Einfluss darauf, was die mit denen machen?

Man kann als Stadtregierung immer Einfluss nehmen.

Das klingt bisweilen anders vonseiten der Verantwortlichen … Ist ihr Einfluss denn gar nicht so beschränkt, wie sie selber gerne behaupten?

Der Stadt und auch anderen politischen Gemeinwesen steht eine Kaskade von Instrumenten zur Verfügung. Und es können – wie der Zürcher Stadtpräsident Emil Klöti in den 1930er-Jahren zeigte – bei Bedarf neue geschaffen werden. Wenn man einfach umzont oder aufzont, gibt man viel Verhandlungsmacht aus den Händen. Eine Stadt, die möglichst viel Einfluss nehmen möchte, muss schauen, dass sie auf der planerischen Ebene möglichst viel Verhandlungsmacht und Eingriffsmöglichkeiten behält.

Wie sichert sie sich die Verhandlungsmacht – ganz konkret? Und lassen sich die Instrumente aufzählen?

Zunächst einmal: Auf Wohnhäuser, die der Stadt gehören oder die auf städtischem Grund stehen, kann die Stadt direkt Einfluss nehmen. Hier könnte die Stadt – und mit ihr die Genossenschaften – auf Abriss und Neubau im Grundsatz verzichten und das Weiterbauen im Bestand zum Normalfall erklären. Beim privaten Wohnraum ist der Handlungsspielraum weniger offen. Aber es gibt ihn. In München hat sich die Regierung in Gebieten mit «Milieuschutz» ein Vorkaufsrecht auf Grundstücke gesichert, um Verdrängungsprozesse zu verhindern. Das stärkt die Verhandlungsposition der Stadt. In Basel wurde eben erst eine Wohnschutzinitiative angenommen, die die Position der Stadt auch bei Sanierungen und Umbauten stärkt. Sie kann nun die Bewilligung an Mietbedingungen knüpfen. Die Verhandlungsmacht der Stadt wird immer dann geschwächt, wenn Entwicklungspotenzial bedingungslos festgesetzt wird. Dann wird es für die Stadt schwierig, im nachhinein noch etwas einzufordern. Vergangenheit und Gegenwart zeigen, dass die Politik, wenn Ziel und Hartnäckigkeit vorhanden sind, viel erreichen kann. Ein erster Schritt wäre, menschenwürdiges Wohnen und einen gewissen Bestandsschutz – ähnlich dem Lärmschutz – zum öffentlichen Interesse zu erheben.

Nachdem die UNO-Sonderbeauftragte für das Recht auf angemessenes Wohnen, Leilani Farha, in Zürich gewesen war und die Credit Suisse für ihr Brunau-Abriss-Projekt kritisiert hatte, sagte die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch: Das Recht auf Wohnen können wir nicht durchsetzen, das ist rechtlich nicht bindend.

Da kommen wir zum Kern des Problems: Recht kann man als statisch gegeben behandeln oder als ein politisches Instrument, um etwas zu fordern. Das ist das, was der französische Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre mit «Recht auf Stadt» meinte: Als eine Form und ein Instrument zum Organisieren, Mobilisieren, um Fragen anders zu stellen und neu zu beantworten. Das Recht auf angemessenes Wohnen ist, wie die Menschenrechte überhaupt, eines der Rechte, auf die wir am meisten angewiesen sind. Man kann sie zwar nicht per Gerichtsentscheid unmittelbar realisieren, insofern hat Corine Mauch Recht. Aber man kann das Recht auf Wohnen auch als Versprechen oder politischen Horizont verstehen und sagen: «Dafür müssen wir kämpfen! Und immer, wenn jemand dieses Recht brechen will, kämpfen wir dafür, dass es eingehalten wird!» Diese Haltung kann auch eine Stadtregierung einnehmen, wenn sie will. Vielleicht würde es sich tatsächlich lohnen, vor Gericht zu gehen und diese fundamentalen Ziele – wie das Recht auf eine angemessene Wohnung in Artikel 41 der Bundesverfassung – oder die zahlreichen Ziele in der Gemeindeordnung einzufordern. Der Rechtsweg ist ja immer auch ein politischer Weg.

Könnten auch die Genossenschaften eine politischere Rolle spielen?

Unbedingt. Sie bieten alle Voraussetzungen, um politische Organisationen zu sein – solche also, die die Auseinandersetzung und das Austragen politischer Konflikte als ihre Aufgabe sehen und nicht nur das Anbieten von Wohnungen. In der Geschichte und auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel in Uruguay, haben Genossenschaften oftmals eine sehr politische Rolle eingenommen und sich für Ziele eingesetzt, die über die unmittelbaren Interessen ihrer Mitglieder hinausgingen. Daher finde ich es sogar sehr wichtig, dass sich Wohnbaugenossenschaften – aber auch andere bestehende wohnpolitische Verbände – als genuin politische Organisationen verstehen und entsprechend handeln. Die Mieter*innen können sich schlecht organisieren und der MV braucht Verbündete. Wohnen wird heute allzu oft als eine Art privates Konsumgut betrachtet – man leistet sich ein Auto und eine tolle Wohnung. Wohnen ist vermeintlich privat. Dass es das nicht ist, muss immer wieder und von verschiedenen Seiten artikuliert werden.

Gespräch: Esther Banz und Andrea Bauer

Wenn das Haus verkauft wird

@ Patric Sandri

Wechselt eine Immobilie die Eigentümerschaft, stellt sich für Mietende die Frage, ob sie mit einer baldigen Kündigung oder Mietzinserhöhung rechnen müssen und wie sie sich gegebenenfalls dagegen wehren können. 

Priska Affentranger ist es pudelwohl in ihrer gemütlichen 3-Zimmer-Wohnung in St. Gallen. Die Miete ist günstig, die Lage zentral und das Verhältnis zur Vermieterin angenehm. So lässt es sich leben. Deshalb ist Affentranger zutiefst verunsichert, als sie den Brief ihrer Vermieterin überfliegt. In knappen Zeilen teilt diese ihr darin mit, sie habe die Liegenschaft verkauft und der neue Eigentümer werde sich bald bei ihr melden. 

Ihre Verunsicherung kommt nicht von ungefähr. Nach dem Verkauf einer Liegenschaft – «Handänderung» im Fachjargon – kommt es gelegentlich zu einer veränderten Nutzung oder gar zu Kündigungen. Die Sorge ist berechtigt, Affentranger aber nicht gänzlich schutzlos. 

Kauf bricht Miete nicht 

Eine Woche später steht tatsächlich ein junger Mann vor Affentrangers Tür und stellt sich als ihr neuer Vermieter vor. Er sei rasch vorbeigekommen, damit sie den neuen Mietvertrag unterzeichnen könne – «Kauf bricht Miete» fügt er an. Nur zu gut erinnert sich Affentranger an diesen Satz, welcher ihr während ihrer KV-Lehre eingebläut wurde. Doch das ist einige Jahre her und der Grundsatz glücklicherweise ein Relikt aus alten Zeiten. Seit der Revision des Mietrechts im Jahr 1990 fällt ein Mietvertrag nämlich nicht automatisch dahin, wenn die Eigentümerschaft wechselt. Vielmehr gehen sämtliche Rechte und Pflichten des Mietvertrags auf die neue Eigentümerschaft über. So steht es im Artikel 261 OR. Affentranger muss den Vertrag also nicht unterschreiben, da sie auch nach dem Verkauf Mieterin ihrer liebgewonnenen Wohnung ist. 

Trotzdem lassen sich immer wieder Mietende übertölpeln und unterschreiben – im Glauben, sie befänden sich durch den Verkauf in einem «vertragslosen» Zustand – einen neuen Mietvertrag. Dies meist zu ungünstigeren Konditionen, wie zum Beispiel einem höheren Mietzins. Apropos Mietzinserhöhung: Eine solche ist oftmals versteckt, weshalb viele Mietende blindlings in die Falle tappen. Wer beispielsweise anstelle eines alten Mietvertrags vom Juli 2009 einen neuen Vertrag mit unverändertem Mietzins unterschreibt, handelt sich eine versteckte Mietzinserhöhung von fast 20 Prozent ein. Dies, weil der alte Mietzins auf einem Referenzzinssatz von 3,25 % basiert, der aktuelle Referenzzinssatz jedoch nur noch bei 1,25 % liegt. 

Mietzinserhöhung nach Verkauf 

Darf die neue Eigentümerschaft nach dem Kauf die Miete erhöhen? – Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf sie den Mietzins so anheben, dass sie auf dem Kaufpreis und allfälligen weiteren Investitionen eine ausreichende Rendite erwirtschaftet. War der Kaufpreis aber übersetzt, gilt diese Regel nicht. Ob die neue Eigentümerschaft einen Anspruch auf eine Mietzinserhöhung hat, lässt sich ohne aufwändige Abklärungen nicht feststellen. Angesichts der aktuell tiefen Zinsen wird die Rendite in den meisten Fällen aber auch ohne Mietzinserhöhung ausreichend sein. 

Will der neue Vermieter Affentrangers Mietzins erhöhen, ist dies erst auf den nächsten Kündigungstermin und unter Einhaltung der Kündigungsfrist möglich. Zudem muss er ihr die Mietzinserhöhung auf einem amtlichen Formular mitteilen. Affentranger kann diese Erhöhung bei der Schlichtungsbehörde anfechten. Diese überprüft dann in einem kostenlosen Verfahren, ob die Erhöhung gerechtfertigt ist. 

Kündigung nach Hausverkauf 

Darf der neue Vermieter Affentranger die Wohnung kündigen? – Ja, er darf. Wie der ehemalige Vermieter muss er sich dabei aber an die vertraglichen und gesetzlichen Kündigungstermine halten. Affentranger kann eine Kündigung innert 30 Tagen nach Erhalt bei der Schlichtungsbehörde als missbräuchlich anfechten und eine Erstreckung verlangen. Plant der neue Vermieter beispielsweise ein Bau- oder Sanierungsprojekt und ist dieses im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht ausgereift, ist die Kündigung missbräuchlich. Gar ungültig ist die Kündigung, wenn die neue Eigentümerschaft die Kündigung ausspricht, bevor sie überhaupt im Grundbuch eingetragen ist. 

Ist die Kündigung weder ungültig noch missbräuchlich, hat Affentranger im Härtefall zumindest Anspruch auf eine Erstreckung. Ob und wie lange das Mietverhältnis erstreckt wird, ist eine Ermessensfrage. Dabei werden die Interessen von Affentranger und jene des neuen Vermieters gegeneinander abgewogen. 

@ Efeu

Dringender Eigenbedarf 

Affentrangers Mietvertrag enthält eine Mindestvertragsdauer. Diese ist noch nicht abgelaufen. Ihr Vertrag kann erst in zwei Jahren ordentlich gekündigt werden. «Glück gehabt», denkt sie sich. Doch wiegt sie sich da nicht in falscher Sicherheit? 

Grundsätzlich ist der neue Eigentümer an die Mindestvertragsdauer gebunden. Doch das Gesetz sieht in Artikel 261 Absatz 2 OR eine Sonderregelung vor. Macht die neue Eigentümerschaft für sich oder für nahe Angehörige einen dringenden Eigenbedarf geltend, kann sie das Mietverhältnis ausnahmsweise mit der gesetzlichen Kündigungsfrist auf den nächsten ortsüblichen Termin kündigen. Lange überlegen darf sie dabei aber nicht. Sie muss den nächstmöglichen Termin nutzen, auch wenn für die Kündigung nur noch wenige Tage zur Verfügung stehen. Wird die neue Eigentümerschaft beispielsweise am 22. Dezember 2021 als solche ins Grundbuch eingetragen und ist der nächste ortsübliche Kündigungstermin der 31. März 2022, so muss die Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von drei Monaten bis spätestens am 31. Dezember 2021 eintreffen. Lässt sie die erste Gelegenheit zur ausserordentlichen Kündigung verstreichen, ist sie an die vertraglichen Fristen und Termine für die Kündigung gebunden, insbesondere auch an die Mindestvertragsdauer. 

Allerdings muss ein «dringender Eigenbedarf» auch wirklich dringend sein. Es genügt nicht, dass die neue Eigentümerschaft einfach Lust hat, die erworbene Liegenschaft so schnell wie möglich zu beziehen. Auch dass der im Ausland lebende Sohn irgendeinmal einziehen möchte, berechtigt nicht zu einer ausserordentlichen Kündigung. Dringlichkeit liegt aber vor, wenn die Käuferschaft beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen auf die neue Wohnung angewiesen ist. 

Ehemaliger Vermieter haftet 

Selbstverständlich kann Affentranger eine Kündigung wegen dringenden Eigenbedarfs bei der Schlichtungsbehörde anfechten. Der neue Vermieter muss dann beweisen, dass der Eigenbedarf absolut dringend ist. Stellt sich im Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren aber heraus, dass der dringende Eigenbedarf gar nicht besteht, sondern nur als Vorwand dient, ist die Kündigung missbräuchlich. Solche Fälle sind in der Praxis keine Seltenheit. 

Sollte der neue Eigentümer mit dem dringenden Eigenbedarf durchkommen und Affentranger frühzeitig kündigen, hätte das für deren ehemalige Vermieterin ein Nachspiel. Sie müsste für allfällige Schäden Affentrangers haften. Müsste diese in eine teurere Wohnung umziehen, hätte ihr die ehemalige Vermieterin bis zum Ablauf der vertraglichen Mindestdauer die Mietzinsdifferenz zu bezahlen. Und auch die Umzugskosten gingen zu ihren Lasten. 

Text: Fabian Gloor