Explodierende Wohnkosten

In der österreichischen Hauptstadt Wien sind die Mieten in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent angestiegen. Foto: 123rf

Eine Mitgliederumfrage des Mietervereins Österreich zeigt den wohnpolitischen Reformstau, unter dem unser Nachbarland leidet.

Fast gleichzeitig mit dem MV Schweiz haben der Mieterverein Österreich (MVÖ) und die Gewerkschaft vida letzten Herbst ihre Mitglieder zu aktuellen Aspekten rund um die Themen Mieten und Wohnen befragt. Ende Jahr präsentierte der österreichische Schwesterverband des MV Schweiz in seiner Mitgliederzeitung «Fair Wohnen» die Resultate der Umfrage. Die Antworten zeigen die grossen Probleme und den Reformstau der österreichischen Wohnpolitik auf.

Mehrheit von Preisanstieg betroffen

Am meisten springt ins Auge, dass 58 Prozent der Befragten angaben, persönlich von den Preissteigerungen der letzten Jahre «sehr betroffen» oder «ziemlich betroffen» zu sein. Dafür verantwortlich machen 67 % der Befragten die «Spekulation mit Immobilien», die Hälfte sieht die Verantwortung dafür auch in der Politik. Tatsächlich sind die Mieten in Österreich gemäss dem wirtschaftsnahen Thinktank Agenda Austria zwischen 2010 und 2020 um satte 44 Prozent angestiegen. Dabei sind sowohl Wohnungen in Privatbesitz berücksichtigt als auch Genossenschaften und Gemeindewohnungen, welche den Durchschnitt nach unten ziehen. Dieser Anstieg ist mehr als doppelt so hoch wie die Teuerung im gleichen Zeitraum (19,8 Prozent).

Ein grosses Problem sind die zunehmenden Befristungen bei Mietverträgen. Gemäss Statistik Austria waren 2019 bereits 22 Prozent aller bestehenden Mietverträge in Österreich befristet (inklusive der in aller Regel unbefristet vermieteten Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen), 2010 waren es erst 14,5 Prozent. Im privaten Segment ist bei einem Neuabschluss eine Befristung gemäss MVÖ heute sogar die Regel.

Recht auf Wohnen

MVÖ und vida fordern angesichts dieser Resultate von der Bundesregierung ein Entlastungspaket für die unteren und mittleren Einkommensklassen. Das Paket müsse gesetzliche Massnahmen zur Eindämmung der Spekulation, Preisobergrenzen, eine Mietrechtsreform, sozial gerecht gestaltete Massnahmen gegen den Klimawandel sowie Massnahmen gegen Armut durch zu hohe Energiekosten umfassen. Im Kampf gegen die ausufernde Immobilienspekulation fordern die Verbände dringende Massnahmen gegen die steigenden Grundstückspreise. Wohnen müsse in der österreichischen Verfassung als Grundrecht verankert werden, und soziale sowie gesellschaftspolitische Aspekte im Bereich Wohnen müssten gegenüber der Wettbewerbsfreiheit und Profitgier eindeutigen Vorrang erhalten.

MVÖ fordert «Mietrecht für alle»

Die Belastungsgrenzen seien längst erreicht und für junge Familien und Alleinerziehende oft schon deutlich überschritten, erklärt der MVÖ-Präsident Georg Niedermühlbichler in «Fair Wohnen»: «Wenn heute selbst ein durchschnittliches Einkommen für einen grossen Anteil der Wohnungen am privaten Mietsektor nicht mehr ausreicht, während auf der anderen Seite die Immobilienwirtschaft satte Gewinne feiert, dann ist der sogenannte freie Wohnungsmarkt ganz offenbar aus den Fugen geraten.»

Das österreichische Mietrecht kennt zwar Obergrenzen für Mieten und einen Kündigungsschutz, aber nur für einen Teil der privaten Wohnungen. So entscheiden historisch entstandene Stichtage, ob ein Mietverhältnis dem Mietrechtsgesetz unterliegt oder nicht. Konkret gilt die Mieten-Obergrenze dadurch praktisch nur für Altbauten, die vor 1945 errichtet wurden. Das betrifft in Österreich nur rund 40 Prozent aller privaten Mieten. Und da sich der Zeitpunkt nicht verschiebt, nimmt die Anzahl der betroffenen Liegenschaften wegen Abbrüchen stetig ab – gemäss einer von der Arbeiterkammer durchgeführten Studie waren es im Jahr 2009 noch 54 Prozent, aktuell wie erwähnt noch 40. Für die restlichen 60 Prozent der Wohnungen gibt es weder eine Mietzins-Obergrenze noch andere Regelungen etwa zu Ablösen, Nebenkosten oder zur Behebung von Schäden.

Text: Andrea Bauer