Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist ernst. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen ist in den letzten vier Jahren stetig zurückgegangen. Die Leerstandsquote ist auf 1,31 % geschrumpft und liegt damit unter der Grenze der Wohnungsknappheit. Die unmittelbare Folge davon sind steigende Mieten. Die Entwicklung sowohl des schweizerischen Mietpreisindexes als auch der Marktmieten von homegate.ch, die im November 2022 ein Allzeithoch erreichten, bestätigen dies. Die Mieten steigen vor allem in den Agglomerationen stark an, wo drei Viertel der Bevölkerung leben.
Dieser Trend wird sich fortsetzen, da die Baugenehmigungen und -starts derzeit rückläufig sind und die Bevölkerung gleichzeitig wächst.
Hinzu kommen der Rückgang der Realeinkommen seit 2020, der Geringverdienende besonders hart trifft, die Überwälzung des für 2023 prognostizierten Anstiegs von Referenzzinssatz und Teuerung auf die Mieten sowie die bevorstehende Explosion der Kosten für Heizung und Warmwasser. Viele Mietende werden von Mietzinserhöhungen betroffen sein.
Die Zutaten für eine grosse soziale Krise, in deren Mittelpunkt die Wohnungsfrage steht, sind damit beisammen.
Doch was tun der für Wohnungsbau zuständige Bundesrat Guy Parmelin (SVP), der Gesamtbundesrat und das Parlament? Sie lehnen eine regelmässige Kontrolle missbräuchlicher Renditen ab und überlassen es der unsichtbaren Hand des Marktes, die Mietenden zu zerquetschen.
Nach der Einreichung diverser parlamentarischer Vorstösse hoffen wir, dass Guy Parmelin und der Bundesrat doch noch aufwachen und endlich handeln!
Um Energie zu sparen, drehen viele Mietende die Heizung runter. Dadurch steigt das Risiko von Schimmelpilz. Er zeigt sich nicht nur an den Wänden, sondern auch durch Symptome wie Müdigkeit oder allergische Reaktionen. Wer trägt die Verantwortung und die Kosten für die Entfernung?
Gudrun Waldvogel hat sich gut eingelebt in ihrer neuen Wohnung. Einzig mit der Einrichtung ihres Schlafzimmers ist sie noch nicht ganz zufrieden – der neue Kleiderschrank steht nicht am richtigen Ort. Als Waldvogel den schweren, sperrigen Kasten zur Seite schiebt, macht sie eine gruslige Entdeckung: Dort, wo das Möbelstück stand, hat sich an der Wand ein gräulicher, pelziger Belag gebildet. Waldvogel ist sofort klar: Hier hat sich klammheimlich Schimmel eingenistet. Wie konnte das geschehen?
Potente Sporen
Schimmelpilze – ein Sammelbegriff für verschiedene Mikropilze – vermehren sich ausschliesslich dort, wo es feucht ist. In der Natur zersetzen sie Pflanzenbestandteile und tragen so zur Humusbildung bei. Schimmelpilze haben eine unbändige Kraft, sich zu vermehren. Aus mikroskopisch kleinen Pilzsporen können sich quasi über Nacht glatte, fädige oder pelzige Pilzbeläge von stattlicher Grösse bilden. Schimmelpilzsporen sind zudem äusserst widerstandsfähig und flugtüchtig. Sie legen grosse Distanzen zurück und gelangen dabei sogar ins Weltall. Folglich sind Schimmelpilzsporen nicht nur im Boden, sondern auch in der Luft allgegenwärtig. Beim Lüften gelangen sie mit der Aussenluft in die Wohnräume. Eigentlich ein unproblematischer Vorgang. Unerfreuliche Auswirkungen haben die Pilzsporen in Innenräumen erst, wenn sie auf feuchte Materialien wie kühle und feuchte Wände treffen. Dann entwickeln sich aus den unsichtbaren Flugkörpern übel riechende, unansehnliche und zerstörerische Pilzbeläge. Diese Pilzbeläge sind nicht nur eklig, sondern können auch die Gesundheit schädigen. Die gesundheitlichen Folgen von Schimmel in Wohnräumen gehen von Atemwegs-, Augen- und Hautreizungen bis hin zu chronischer Bronchitis oder Asthma und allergischen Erkrankungen. Bei bestimmten Vorerkrankungen besteht ein erhöhtes Risiko für gefährliche Schimmelpilzerkrankungen wie die allergische Lungenerkrankung ABPA oder innere Infektionen. Schimmelpilze dürfen deshalb auf keinen Fall unterschätzt werden.
Schimmel melden
Waldvogel muss den Schimmelbefall dem Vermieter umgehend mit eingeschriebenem Brief melden. Andernfalls kann sie für Folgeschäden haftbar gemacht werden. Am besten schiesst sie gleich noch ein paar Fotos, welche das Ausmass des Übels dokumentieren. Für weitere Abklärungen ist der Vermieter zuständig. Es empfiehlt sich deshalb nicht, als Mieter*in von sich aus Schadensgutachten oder Schimmelpilzmessungen in Auftrag zu geben.
Der Vermieter wird vermutlich versuchen, Waldvogel die Schuld am Schimmelbefall in die Schuhe zu schieben. «Sie haben nicht genügend gelüftet», lautet das klassische, meistens falsche Argument. Zugluft mag der Schimmel tatsächlich nicht. Doch meistens sind sogenannte Wärmebrücken die Hauptursache für den Schimmelbefall, beispielsweise schlecht isolierte Aussenwände. Kühlt die Raumluft an kalten Wandoberflächen ab, bildet sich darauf Kondenswasser. Die feuchte Fläche bildet einen idealen Nährboden für Schimmel. Platziert Waldvogel nun ihren Kleiderschrank an einer Aussenwand, wird die Luftzirkulation hinter dem Möbelstück behindert, wodurch allfälliges Kondenswasser an der Wand nicht abtrocknet. Dass dies die Schimmelbildung fördert, liegt auf der Hand. Die Hauptursache für das Auskühlen der Wände und damit auch für den Schimmel liegt jedoch meistens an der schlechten Isolation. Und für solche Baumängel sind grundsätzlich Vermieter*innen verantwortlich. Eindringendes Regenwasser, durchsickernde Feuchtigkeit in Kellerräumen, ungenügend ausgetrockneter Beton in Neubauten oder eine defekte Wasserleitung, die das Mauerwerk durchfeuchtet, sind weitere Baumängel, die zu Schimmelpilz führen und von der Vermieterschaft zu verantworten sind.
Illustration: Efeu
Schuldnachweis ist schwer zu erbringen
Wer ungenügend oder falsch lüftet, sehr viele Zimmerpflanzen hält oder den Luftbefeuchter im Dauermodus arbei-ten lässt, fördert unweigerlich Schimmelbildung. Das Gleiche gilt, wenn beim Kochen stets ordentlich Dampf abgelassen oder die Wäsche im Wohnzimmer zum Trocknen aufgehängt wird. Die Heizung im Winter ganz zuzudrehen, ist auch keine gute Idee, denn kalte Raumluft kann weniger Feuchtigkeit aufnehmen, wodurch sich mehr Kondenswasser bildet. Doch all diese Verhaltensweisen allein führen in der Regel noch nicht zu einem Schimmelbefall. Die Feuchtigkeit in Innenräumen ist meistens auf ein subtiles Wechselspiel vieler Ursachen zurückzuführen.
Damit der Vermieter Waldvogel für den Schimmelbefall belangen kann, muss er zweifelsfrei nachweisen, dass sie allein oder zumindest mehrheitlich für den Schimmelbefall verantwortlich ist. Dieser Nachweis ist im Einzelfall äusserst schwer zu erbringen. Auch Expert*innen kommen oft zu unterschiedlichen Ergebnissen. Gelingt dem Vermieter dieser Nachweis nicht, muss er den Schimmel auf seine Kosten beseitigen. Die Beseitigung sollte professionell vorgenommen werden. Javel-Wasser und andere Hausmittelchen wirken meist nur oberflächlich, und der unliebsame Mitbewohner ist im Nu wieder zurück.
Rechtlich handelt es sich beim Schimmel um einen Mangel am Mietobjekt. Denn die Vermieterschaft ist gesetzlich verpflichtet, der Mieterschaft eine mängelfreie Wohnung zur Verfügung zu stellen, die mit normalen Lebensgewohnheiten nutzbar ist. Kann der Schimmelbefall nur durch stundenlanges Lüften verhindert werden, so ist die Wohnung nicht normal nutzbar. Ständiges Lüften ist unzumutbar. Insbesondere jetzt in der Energiekrise. Ebenfalls unzumutbar ist es, an den Aussenwänden keine Möbel aufstellen zu dürfen.
Mietzins hinterlegen – aber richtig
Zögert der Vermieter die Beseitigung des Schimmels unnötig hinaus, kann Waldvogel ihn unter Druck setzen, indem sie den Mietzins bei der zuständigen Schlichtungsbehörde hinterlegt. Doch Vorsicht: Für eine korrekte Mietzinshinterlegung muss sie einige Formalitäten beachten. In einem eingeschriebenen Brief muss sie dem Vermieter erst einmal eine angemessene Frist zur Behebung des Schimmels ansetzen und die Hinterlegung androhen. Behebt der Vermieter den Mangel nicht innert der angesetzten Frist, kann Waldvogel den ganzen Mietzins inklusive Nebenkosten bei der vom Kanton bezeichneten Stelle hinterlegen. Möglichst zeitgleich sollte sie den Vermieter schriftlich über die Hinterlegung informieren. Solange der Mangel nicht behoben ist, kann sie auch alle weiteren Mietzinse und Nebenkosten hinterlegen. Ganz wichtig: Der Mietzins muss im Voraus, das heisst vor der Fälligkeit, bei der Schlichtungsbehörde einbezahlt werden.
Nach der Hinterlegung des ersten Mietzinses hat Waldvogel 30 Tage Zeit, ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsbehörde einzureichen. Neben der professionellen Beseitigung des Schimmels hat Waldvogel auch einen Anspruch auf eine Mietzinsreduktion. Wie hoch die Reduktion ist, steht nirgends im Gesetz, sondern ist eine Ermessenssache. Eine Reduktion von 10 bis 20 Prozent bei einem mittleren Schimmelbefall darf Waldvogel aber erwarten.
Was ist aber mit Waldvogels neuem Kleiderschrank, dessen Rückseite völlig verschimmelt ist und der nun im Sperrmüll seine letzte Ruhe gefunden hat? Grundsätzlich muss ihr der Vermieter diesen Schaden ersetzen. Waldvogel muss aber beweisen können, wie viel der Kleiderschrank gekostet hat. Da er neu war, sollte ihr dies problemlos gelingen.
Statt sie individuell abzurechnen, werden die Heizkosten in rund zwei Dritteln aller Mehrfamilienhäuser in der Schweiz anhand der Wohnungsgrösse zwischen den Mietenden aufgeteilt. Diese Zahl beruht auf einer Schätzung des Verbands für Energie- und Wasserkostenabrechnung, über die der «Kassensturz» kürzlich berichtete. Der Mieterinnen- und Mieterverband fordert seit langem eine individuelle Abrechnung der Heizkosten, nicht zuletzt auch vor dem aktuellen Hintergrund, dass sich das Energiesparen für die einzelnen Mietenden auch lohnen soll.
Positionen Energiemangellage
Die angespannte Lage auf dem Energiemarkt betrifft die Mietenden stark. Der MV beteiligt sich deshalb an den entsprechenden Konsultationen auf Bundesebene. Grundsätzlich befürwortet der Verband die Energiesparkampagne und ist Gründungsmitglied der Energiespar-Alliance. Er spricht sich aber gegen Beschränkungen oder Verbote im Privatbereich aus. Bei einer ersten Konsultation hat sich der MV gegen eine generelle Beschränkung auf 19 Grad für alle gasbeheizten Innenräume ausgesprochen. Der Bundesrat hat die Massnahme überarbeitet und schreibt für den Fall einer Knappheit eine Höchsttemperatur von 20 Grad vor. In der Konsultation zum Strombereich spricht sich der MV gegen die Begrenzung auf 18 Grad aus, die für den Fall einer Knappheit in elektrisch beheizten Räumen (Elektroheizungen und Wärmepumpen) vorgesehen ist.
Referenzzinssatz: Trendwende
Der Referenzzinssatz bleibt auch per 1. Dezember bei 1,25 Prozent. Zwar ist der Durchschnittswert aller Schweizer Immobilienhypotheken, auf dem der Referenzzinssatz beruht, von 1,17 auf 1,18 gestiegen. Da der Referenzzinssatz aber jeweils auf Viertelprozente auf- oder abgerundet wird, bleibt er vorläufig bei 1,25 Prozent. Der Anstieg von 1,17 auf 1,18 bedeutet dennoch eine Trendwende, denn seit seiner Einführung 2008 ist der Wert kontinuierlich gesunken. Expert*innen rechnen damit, dass er im nächsten Jahr auf 1,5 Prozent ansteigen wird.
Ich bin Mieter in einem Zweifamilienhaus. Mein Nachbar in der unteren Wohnung hat seinen Garten mit allerlei leuchtenden und blinkenden Weihnachtsmännern, Rentieren und anderen lustigen Weihnachtsfiguren dekoriert. Das wäre ja schön und recht, wenn die Weihnachtsdeko nur nicht die ganze Nacht lang leuchten und blinken würde. In meinem Schlafzimmer ohne Storen und zusätzliche Vorhänge bringe ich deswegen kein Auge zu. Ist eine Weihnachtsbeleuchtung im Dauerbetrieb überhaupt erlaubt?
Grundsätzlich ist es Mieter*innen erlaubt, Innenräume, Fenster, Balkone, aber auch Gärten während der Adventszeit mit elektrischer Beleuchtung zu dekorieren. Die Verwendung solcher Beleuchtungselemente ist inzwischen eine weit verbreitete Sitte, die zum vertragsgemässen Gebrauch der Mietsache gehört und von Nachbar*innen und Vermieterschaft eigentlich geduldet werden muss. Ob eine solch üppige Weihnachtsbeleuchtung jetzt, während der Energiekrise, angebracht ist, ist allerdings mehr als fraglich. Zudem schreibt Artikel 257f OR vor, dass Mieter*innen auf Nachbar* innen Rücksicht nehmen müssen. Dazu gehört beispielsweise, die Privatsphäre und das Ruhebedürfnis zu respektieren. Lärm- und Geruchsimmissionen, aber auch solche durch Licht dürfen andere Mieter*innen nicht stören. Sie dürfen nicht übermässig sein und müssen auf ein vernünftiges Mass begrenzt werden. Ab wann eine Lichtimmission als übermässig gilt, ist schwierig zu bestimmen. Die Grenze dürfte dann überschritten sein, wenn die Weihnachtsbeleuchtung im Dauerbetrieb läuft und die störende Lichteinwirkung nur durch Rollläden oder Vorhänge auf ein zumutbares Mass abgesenkt werden kann. Dies ist bei Ihnen offenbar der Fall. Suchen Sie deshalb das Gespräch mit Ihrem Nachbar und schlagen Sie ihm als Kompromiss vor, die Weihnachtsbeleuchtung nach 22 Uhr jeweils abzuschalten. Mit der Montage einer Schaltuhr liesse sich dies einfach bewerkstelligen.
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Ich musste mich einer Herzoperation unterziehen und kann die Treppe zu meiner Wohnung im vierten Stock nicht mehr hochsteigen. Ein Lift ist nicht vorhanden. Der nächste Kündigungstermin liegt in weiter Ferne. Ein Freund sagte mir, eine ausserordentliche Kündigung sei möglich. Stimmt das?
Bei der ausserordentlichen Kündigung gemäss Art. 266g Abs. 1 OR können die Parteien das Mietverhältnis einer Wohnung unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist auf einen beliebigen Zeitpunkt kündigen. Dabei ist es egal, welche Fristen und Termine im Mietvertrag festgehalten sind. Es muss allerdings ein wichtiger Grund vorliegen, der für die eine Partei eine Vertragserfüllung unzumutbar macht. Die Anforderungen an den Grund sind ausserordentlich streng. Es darf kein voraussehbarer Grund sein und keiner, für den Sie als kündigender Mieter verantwortlich sind. Anerkannte Gründe sind etwa schwere Wirtschaftskrisen, Krieg oder Naturkatastrophen. Ein Wechsel des Arbeitsorts genügt dagegen nicht. Wichtige Gründe im Sinne von Art. 266g Abs. 1 OR können auch im Gesundheitszustand der Mieterschaft liegen, wenn dieser eine weitere Nutzung der Wohnung unmöglich macht. Sie sind also zu einer ausserordentlichen Kündigung berechtigt. Ebenso kann die Verlegung in ein Alters- oder Pflegeheim zu einer ausserordentlichen Kündigung berechtigen. Zu beachten ist, dass das Gericht gemäss Absatz 2 des Art. 266g OR der Vermieterschaft eine Entschädigung «unter Würdigung aller Umstände» zusprechen kann. Können Sie sich mit der Vermieterschaft nicht einigen, lohnt es sich unter Umständen, eine zumutbare Nachmieterschaft zu stellen.
Oft geht vergessen, dass zum warm Duschen erst Wasser aufwändig aufgeheizt werden muss, meist mit Öl oder Gas. Gute Sparbrausen helfen, im grossen Stil Energie und Geld zu sparen.
Laut dem deutschen Wirtschaftsminister Habeck sollen drei Minuten zum Duschen reichen. Was er vergass zu sagen: Entscheidend ist die Nutzung effizienter Technologie, in diesem Fall wassersparende Duschbrausen, und wie viel Energie mit diesen gespart wird. Denn mit kürzerem Duschen wird vor allem Warmwasser gespart, das in der Regel mit fossiler Energie aufgeheizt werden muss. Die drohende Energieknappheit rückte das warm Duschen diesen Herbst stark in den Fokus.
Die Hälfte reicht auch
Allgemein wird unterschätzt, wie viel Energie das tägliche Duschen verbraucht. Ein Beispiel: Wenn wir mit einer Brause zu 12 Litern Wasser Durchfluss pro Minute 7 Minuten warm duschen, verbrauchen wir 84 Liter Warmwasser, was 3 Kilowattstunden Energie braucht. Damit könnte man mit einer Standard-Waschmaschine 4 Waschgänge im Eco-Programm machen! Wer länger als 10 Minuten unter der Dusche verbringt, verbraucht rasch einmal so viel Wasser wie mit einem Vollbad. Die sparsamsten Duschbrausen, die nur 6 Liter pro Minute durchlassen, vermitteln ein nur unwesentlich anderes Gefühl als die üblichen Brausen mit 12 Litern Durchfluss. «Eine gute Wassersparbrause spart fünfzig Prozent des Warmwasserverbrauchs und damit der Energie ein», sagt Nadja Gross von Topten, «diese Anschaffung lohnt sich sehr schnell».
Gute Sparbrause für 18 Franken
Bei Sparbrausen besteht immer noch ein Vorurteil: Viele Leute glauben, dass sie vor sich hintröpfeln, weil nicht genug Wasser aus dem Duschkopf strömt. Das war einmal: Moderne Modelle mit 5 oder 6 Litern pro Minute schaffen spielend den Spagat zwischen öko und Komfort; sie haben einen genauso schönen weichen Strahl wie die normalen, einfach mit mehr Luft untergemischt. Das ist das ganze Geheimnis. Ein von Kassensturz mit Note 5,1 getestetes Duschbrause-Modell mit 5 Litern pro Minute ist bereits für 18 Franken erhältlich (Coop). Mehr dazu: www.topten.ch/sanitaerprodukte. Nebenbei bemerkt: Sparbrausen sind natürlich kein Freipass, um unbegrenzt lang zu duschen. Das ginge ins gleiche Kapitel wie die LED-Lampen, die man nur vermeintlich länger brennen lassen darf, weil sie ja viel weniger Strom brauchen als früher die Glühbirne.
Möglichst auf 50 statt 70 Grad einstellen
Für Warmwasser wird in unseren Haushalten mehr Energie verbraucht als für alle elektrischen Geräte sowie die Beleuchtung. Steht ein Heizöl-Boiler im Einsatz, betragen die Warmwasserkosten einer vierköpfigen Familie 500 Franken; mit einem Elektro-Boiler sind es 800 Franken. Elektroboiler sind die grössten Stromfresser im Haushalt und sollten dringend ersetzt werden. Wer Zugriff auf den Boiler hat, sollte sicherstellen, dass dieser nur auf 50 Grad statt 70 Grad oder mehr eingestellt ist. Das spart sehr viel Energie. Einmalig pro Woche auf 60 Grad aufheizen wegen des Legionellen-Risikos genügt. Allerdings haben Mieter*innen auf die Art der Wasseraufbereitung in der Regel keinen Einfluss. Hingegen können sie viel Warmwasser sparen, wenn sie beim Einseifen unter der Dusche das Warmwasser nicht unnütz laufen lassen, was übrigens auch beim Rasieren gilt. Was beim Sparen auch hilft: Händewaschen und Zähneputzen sollte man mit Kaltwasser. Bis nämlich jeweils das Wasser warm aus der Leitung rauscht, ist man bereits fertig und das warme Wasser kühlt in der Leitung wieder ab – was maximale Verschwendung bedeutet.
Energie-Etikette
Auf den Sanitärprodukten wie Duschbrausen, Armaturen und Durchfluss-Begrenzern wird der Wasserverbrauch durch eine freiwillige Energie-Etikette des Bundesamtes für Energie gekennzeichnet. Die A-Klasse bezeichnet die sparsamsten Produkte, die G-Klasse die grössten Verbraucher. Die Grenzwerte der für die jeweilige Klasse zulässigen Wassermengen sind dabei vom Verwendungszweck des Produkts abhängig.
Seit 1988 wurde in der
Stadt Zürich jedes
sechste Haus abgerissen (rot markiert: Neubauten ab 1988). Karte: Enzmann Fischer Partner
In den Städten entsteht mehr Wohnraum für die wachsende Bevölkerung. Dies aber oft durch Abriss und Neubau. Forschende arbeiten daran, dass mehr über Risiken und Nebenwirkungen gesprochen wird.
Der Architekt Philipp Fischer steht vor einem Schaufenster an der stark befahrenen Seebahnstrasse in Zürich. Hinter dem Glas tickt eine Digitalanzeige. Sie zeigt, wie viel Abfall aus Bauschutt in der Schweiz jede Sekunde neu produziert wird. Wenige Tage nachdem der Zähler gestartet wurde, sind es bereits 475 000 000 Kilogramm, jede Sekunde kommen 500 Kilogramm hinzu. Die Zahlen beruhen auf Berechnungen des Bundesamts für Umwelt, die szenische Installation ist von Countdown2030. Wie die Gruppe klimaengagierter Architekt*innen will auch Philipp Fischer Passant*innen auf die Ersatzneubau-Problematik hinweisen, sie wachrütteln. Er sagt: «Die Schweiz hat gute Hochschulen, eine intakte Demokratie, und eine Mehrheit nimmt den Klimawandel ernst. Gleichzeitig sind wir auch eine der führenden Konsum- und Wegwerfgesellschaften. Wir krempeln innert kürzester Zeit ganze Städte um, Zürich allen voran.»
Er zeigt auf die Karte, die sich ebenfalls hinter dem Schaufenster befindet: «Darauf sind alle Gebäude markiert, die in dieser Stadt seit 2011 abgebrochen wurden.» Die Karte zeigt beinahe flächendeckende Hervorhebungen. Seit 1988 sei sogar jedes sechste Haus in der Stadt abgerissen worden, sagt Fischer (siehe Karte unten). Sein Büro aktualisiert laufend eine weitere Karte der Stadt – alle Neubauten. Warum 1988? Damals hielt Ursula Koch ihre legendäre Rede. Sie sagte: «Die Stadt ist gebaut. Sie muss nicht neu-, sondern umgebaut werden. Umgebaut zu einem lebenswerten Zürich, mit hohen urbanen Qualitäten.» Vor über 30 Jahren sprach sie also vom Weiterbauen respektive Verdichten, noch bevor dieses zum Ziel erhoben wurde. Die Zahl – jedes sechste Haus – beruht auf Berechnungen von Statistik Stadt Zürich. Er kenne keine Stadt in Europa, die verhältnismässig so viel Hausbestand vernichtet. Vielerorts entstünden im Zuge dieser Praxis seelenlose neue Quartiere mit Ersatzneubauten, während immer mehr bestehende Häuser mit Geschichte, Patina, Erinnerungswert, sozialen Strukturen und Funktionen verschwinden.
Es ist dieser Wandel, den Philipp Fischer, der selber seit vielen Jahren erfolgreich baut, betrübt. Es sind die Klimafolgen der gängigen Abriss- und Neubaupraxis. Und nicht zuletzt auch, dass die Stadt menschlich monotoner und kühler zu werden droht, wenn im Zuge der Verdichtung und der energetischen Sanierungen immer mehr Wenig-, aber auch Normalverdienende gehen müssen.
Abriss/Neubau = höhere Mieten
Dass seine Befürchtungen nicht unbegründet sind, bestätigt eine aktuelle, noch nicht publizierte Studie der ETH Zürich. Sie heisst «Mehr Wohnraum für alle?» und zeigt auf, wie sich im Kanton Zürich Bauaktivitäten und Mietpreise seit 1996 verändert haben. Eine Karte veranschaulicht, wie in der Stadt Zürich die Angebotsmietpreise seit 2015 fast überall angestiegen sind, teilweise massiv. Und das in einer Zeit, in der die Hypothekarzinsen konstant historisch tief waren. David Kaufmann ist einer der Autor*innen der Studie. Der Assistenzprofessor für Raumentwicklung und Stadtpolitik sitzt an einem nassen Novembertag in seinem Büro auf dem Campus Hönggerberg, eigentlich um von den Ergebnissen einer anderen kürzlich publizierten Studie zu erzählen. Diese wiederum thematisiert, warum die Verdichtung – unter Raumplaner*innen «Innenentwicklung» genannt – für Unbehagen in der Bevölkerung sorgt. Einer der Hauptfaktoren dafür ist, wenig überraschend, dass bei Abriss und Neubau die Mietpreise steigen. In alten Wohnungen leben oft alte Menschen und Menschen mit tiefen Einkommen, sie sind besonders von der Entwicklung betroffen. Selbst eine kleinere neue Wohnung im Quartier ist für viele unerschwinglich. Die Verdichtung bedeutet für sie Verdrängung.
Es ist verflixt: Eigentlich ist praktisch niemand gegen die Ziele des 2013 revidierten Raumplanungsgesetzes. Es ist ein mächtiges (wenn auch nicht ausreichendes) Mittel gegen die Zersiedelung, das Verbauen von Boden ausserhalb der Siedlungen. Umfragen zeigen, dass eine grosse Mehrheit der Bevölkerung die Umsetzung überzeugt unterstützt, gerade in den Städten. Geschont werden dadurch auch wertvolle Lebensräume, die Artenvielfalt. Aber die dafür erforderliche Innenverdichtung sorgt in Städten, die kaum noch über Baulandreserven oder Brachen verfügen, nebst anderen Faktoren für regen Abriss und Neubau. Und das wiederum ist wegen der Unmengen an grauer Energie, die in Gebäuden steckt, Gift fürs Klima. Und eben auch für gewachsene soziale Strukturen, die eine Siedlung und ein Quartier ausmachen, denn bekanntlich werden bei Ersatzneubauprojekten von privaten respektive institutionellen Hausbesitzerschaften die Mietenden auf die Strasse gestellt.
«Verdichtung oder Verdrängung?»
Die Innenentwicklung schreitet voran, das Bundesamt für Raumentwicklung ARE zeigt sich mit der quantitativen Entwicklung zufrieden. Gleichzeitig verweist ARE-Sprecher Michael Furger darauf, dass das revidierte Raumplanungsgesetz auch qualitative Ziele beinhaltet, namentlich eine nachhaltige Siedlungsentwicklung. Er sagt: «Eine gute Innenentwicklung deckt gestalterische Fragen ab und sorgt dafür, dass sie bei der Bevölkerung auf die nötige Akzeptanz stösst.»
Aber seit immer mehr Gebäude vor aller Augen brutal mit Baggern und Abrissbirnen traktiert werden und über Tage und manchmal Wochen hinweg an Kriegsruinen erinnern, passiert das Gegenteil: Das Unbehagen in der Bevölkerung nimmt zu. Auch das ETH-Wohnforum setzt sich mit dieser Problematik auseinander. Dessen Direktorin Jennifer Duyne Barenstein konnte beobachten, wie in ihrer Nachbarschaft in Zürich-Altstetten ein Haus nach dem andern plattgemacht wurde, «oft mit dubioser Legitimität und brutal», so schien ihr, «ich kenne mein Quartier fast nicht mehr». Sie wollte verstehen, was da passiert. Am 25. Januar eröffnet die Ausstellung «Verdichtung oder Verdrängung» im Zentrum für Architektur Zürich (ZAZ), von Studierenden des von ihr geleiteten Master of Advanced Studies (MAS). Anhand von vier Fallbeispielen gehen sie der Frage nach, wie legitim der jeweilige Ersatzneubau ist und was der Verlust der Wohnung für die betroffenen Mieter*innen bedeutet. Am 9. Februar organisiert das Wohnforum zudem eine Diskussion zu den sozialen Auswirkungen der anhaltend raschen Verdichtung der Stadt Zürich.
Aktuelle wissenschaftliche Publikationen «Mehr Wohnraum für alle?», ETH Zürich, 2022 «Perspektive Wohnungsverlust», Ifsar Institut für Soziale Arbeit und Räume, Ostschweizer Fachhochschule, 2022
Wie sicherstellen, dass alle profitieren?
Gute Daten zu den Verdrängungsprozessen liegen noch keine vor, wie ETH-Assistenzprofessor David Kaufmann bedauert. «Forschungslücken» ist denn auch ein Wort, das im Gespräch mit Wissenschaftler*innen zum Thema Verdichtung und Verdrängung öfters fällt. So erstaunt es auch nicht, dass die Innenentwicklung insgesamt bisher die Menschen noch kaum im Fokus hatte, wie David Kaufmann sagt: «Es gibt ein planerisches Dilemma: Wenn wir in einen Raum intervenieren, wollen wir seine Qualität, seine Funktionsfähigkeit erhöhen – fürs Klima und den Verkehr etwa. Das macht den Raum attraktiver und bedeutet im gleichen Zug auch, dass diese Aufwertung die Preise in die Höhe treibt und eine Gentrifizierung stattfindet. Eine der zentralen Fragen, die uns raumplanerisch umtreibt, ist deshalb: Wie können wir sicherstellen, dass alle von diesem attraktiven Raum profitieren können und es nicht zu Verdrängung kommt?» Den oft gehörten Ruf nach «einfach mehr Wohnraum», wie ihn gerade auch Liberale erheben, sieht David Kaufmann kritisch: «Mehr Wohnraum ja, aber nur in Verbindung mit Regulationen und einer aktiven Bodenpolitik, damit verschiedenste Menschen in der Stadt bleiben können. Sonst kommt es zur Kettenreaktion: In die neuen, teuren Wohnungen ziehen Gutverdienende. Die mit den tiefen Einkommen verlieren derweil ihre günstigen Wohnungen in der Stadt und finden nur ausserhalb eine Bleibe. Aber das wollen wir nicht, denn das ist Segregation pur.»
David Kaufmann wünscht sich, dass mehr über diese Entwicklungen gesprochen wird: «Innenentwicklung ist komplex, es muss viel verhandelt und ausgehandelt werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Diskussionen auch in der Öffentlichkeit vermehrt geführt werden.» Seine Studien und die Ausstellung des ETH-Wohnforums im ZAZ sollen dazu einen Beitrag leisten. Und natürlich auch der Ticker im Schaufenster an der Seebahnstrasse – keine Stunde nach dem Treffen mit Philipp Fischer sind in der Schweiz schon 1,8 zusätzliche Tonnen Abfall durch Abriss entstanden. Und weitere Menschen haben in der Zeit die Wohnungskündigung erhalten.
Nachforderungen bei den Nebenkosten sind trotz hoher Energiepreise auch künftig nicht von den Ergänzungsleistungen gedeckt. Bezüger*innen sollten deshalb rasch die Akonto-Zahlungen erhöhen.
In der Schweiz erhielten Ende 2020 etwas über 340 000 Menschen Ergänzungsleistungen (EL), also rund ein Sechstel aller AHV- und IV-Empfänger*innen. Ihre Renten und Einkommen werden ergänzt, weil sie die minimalen Lebenskosten nicht decken. Insbesondere die Wohnkosten werden bis zu einer Obergrenze von den EL übernommen. Der monatliche Akonto-Betrag für die Nebenkosten ist fix: Gibt es bei der jährlichen Abrechnung etwas zurück, müssen die Mietenden dieses Geld nicht an die EL zurückgeben. Entstehen hingegen Nachforderungen, müssen sie diese vollumfänglich selber bezahlen.
Dies könnte bei der nächsten Abrechnung, also nächsten Sommer/Herbst, zum Problem werden. Denn die Energiepreise sind bekanntlich massiv angestiegen – pro Haushalt ist mit Mehrkosten von bis zu hundert Franken pro Monat zu rechnen. Macht also bis zu 1200 Franken, die von EL-Bezüger*innen bei der nächsten Abrechnung aus dem eigenen Sack bezahlt werden müssen. Und zwar innerhalb von dreissig Tagen. Sonst droht die Kündigung.
Der Bundesrat wurde bereits in der ersten Jahreshälfte mittels verschiedener Vorstösse dazu aufgefordert, das Gesetz so anzupassen, dass Nachforderungen künftig durch die EL abgedeckt sind. Nach monatelangem Abwiegeln erklärte er in der ersten Woche der Dezembersession, auf Anfang 2023 würden die EL an die Teuerung angepasst und die Mietzinsmaxima steigen. Damit sei «der Situation der Ergänzungsleistungsbezügerinnen und -bezüger (…) Rechnung getragen».
Die Lösung: Akonto-Zahlungen erhöhen
Mit dieser Antwort zielt der Bundesrat komplett am Problem vorbei. Selbst wenn höhere Mietzinsmaxima und Teuerungsausgleich (bzw. das, was davon noch übrig bleibt) die höheren Energiekosten etwas lindern: Das Problem der nicht gedeckten Nachforderungen bleibt ungelöst. Nach der Absage aus Bern hilft darum nur noch eins: In Absprache mit der Vermieterschaft die Akonto-Zahlungen für die Nebenkosten erhöhen und dies der zuständigen Stelle melden (kantonale Ausgleichskassen bzw. Sozialdienst). Auf diese Weise werden die Mehrkosten nämlich doch noch von den EL übernommen. Das muss man als EL-Bezügerin allerdings erst einmal wissen. Die von M+W angefragten Stellen geben zwar an, die Betroffenen darauf hinzuweisen. Viele tun dies allerdings erst auf Anfang Jahr. Ganz abgesehen von der Frage, ob die Information auch tatsächlich bei allen Bezüger*innen ankommen wird: Im Januar sind die Heizungen seit Monaten am Laufen, und es dürfte bereits einiges an – ungedeckten – Nachzahlungen zusammengekommen sein.
Tausende Häuser werden in der Schweiz jedes Jahr abgebrochen und ihre Substanz zum grössten Teil weggeworfen. Damit an Ort und Stelle von Grund auf neu gebaut werden kann. Gegen diese als selbstverständlich geltende Praxis regt sich Widerstand – gerade auch von Architekt*innen.
Kinder könnten stundenlang zuschauen, wenn riesige Bagger ganze Häuser auseinanderreissen, Erwachsene freilich auch. Und wer Zeit hat, kommt voll auf seine Kosten, denn abgerissen wird zurzeit vielerorts. Auch im Schweizerischen Architekturmuseum SAM in Basel konnte man kürzlich – im Sitzen sogar – zuschauen, wie gigantische Abbruchzangen an Hauswänden zerren und dabei Backsteine, Gips, Beton und Stahlstangen herausreissen und zu Boden krachen lassen. Dort liegt das zu Abfall gewordene einstige Mauerwerk dann, kreuz und quer übereinander Holzbretter und verbogene Stangen. Material, in dem viel wertvoller Rohstoff steckt – Sand, Erde, Holz oder Eisen, einst energieaufwändig abgebaut, zu Baumaterial verarbeitet, zur Baustelle transportiert und dort verbaut. In jedem Gebäude-«Abfall» stecken Unmengen an verbauter Energie – mehr als die Hälfte der gesamten Energie sogar, die ein neueres Haus im Laufe seiner Existenz im Betrieb insgesamt verbraucht, das Heizen eingerechnet.
Der reinste Wahnsinn
Wird ein bestehendes Haus abgerissen, landet mit dem nicht weiter- oder wiederverwerteten Bauschutt also jede Menge graue Energie quasi auf dem Müll – konkret: in Deponien (dass dabei auch teils über Jahrhunderte gewachsene Kultur und Identität einfach weggeworfen wird, wäre noch einmal ein anderes Thema). Und für einen Neubau wird bei der Rohstoffgewinnung, der Materialherstellung und dem Transport wieder neues Treibhausgas verursacht. Wo man doch auch mit dem Bestand oder wenigstens Teilen davon bauen könnte. Die Tabula-rasa-mässige Abriss- und Ersatzneubaupraxis ist der reinste Wahnsinn – und man mag es fast nicht glauben, aber: Ein Wendepunkt ist noch nicht in Sicht. Dabei hat die Schweiz ihr CO2-Budget unter Berücksichtigung ihrer historischen Emissionen bereits aufgebraucht, sagen die Macher*innen der Ausstellung «Die Schweiz: Ein Abriss». Sie gehören «Countdown 2030» an – einer Gruppe besorgter Architekt*innen und weiterer im Bauwesen Tätiger, die sich 2019 gebildet hat.
Mit einer Petition, dem partizipativ angelegten «Abriss-Atlas» und der Ausstellung wollen sie wachrütteln und aufzeigen, warum es einen Stopp der bisherigen Praxis braucht, wie ihn auch der Aktionsplan der Klimastreik-Bewegung mit seinem Moratorium für Neubauten verlangt. Es ist die Forderung nach einem Paradigmenwechsel, der die Lust am Neubau und deren Selbstverständlichkeit in Frage stellt – und das ausgerechnet von Architekt*innen? Ja. Aber von vorne.
Der Neubau: Eine Klimakatastrophe
Noch vor wenigen Jahren war die graue Energie, die in Gebäuden steckt, und überhaupt die eigene Klima-Verantwortung unter Bauherr*innen, Planer*innen und Architekt*innen ausser vereinzelt an Hoch- und Fachhochschulen kein grosses Thema. Fachzeitschriften wie insbesondere «Hochparterre» thematisierten zwar schon länger klimarelevante Fragen, und 2020 wurde den Pionier*innen im Wiederverwenden von Bauteilen, Barbara Buser und Eric Honegger vom «Baubüro in Situ», mit dem Meret-Oppenheim-Preis quasi der Grand Prix der Schweizer Architektur verliehen. Barbara Buser wurde ausserdem für eine Gastdozentur an die ETH berufen – aber diese und weitere ums Klima und die planetaren Grenzen Besorgten riefen mit wenig Widerhall in den Echoraum all derer, die die Schweiz bauen.
Einen Ruck löste erst die Klimabewegung aus. Weltweit und auch in der Schweiz bildeten sich «Architects for Future»-Gruppierungen. In Basel fanden Architekt*innen zudem zu «Countdown 2030» zusammen. Eine von ihnen ist Rahel Dürmüller. Für die Ausstellungs-Mitverantwortliche ist angesichts der Tatsache, dass die Baubranche für 40 Prozent des CO2-Ausstosses weltweit verantwortlich ist, klar: «Alles, was ich privat zur Verkleinerung meines Fussabdrucks tue, ist gut und recht, aber der viel grössere Hebel liegt in meiner Arbeit als Architektin.» Vor ein paar Jahren habe es eine intensive Diskussion zu Einweg-Plastiktüten gegeben, gleichzeitig würden in der Schweiz jeden Tag mehrere Häuser weggeworfen, ganz selbstverständlich.
Tausende abgebrochene Wohnungen
In der Schweiz werden pro Jahr zwischen 3000 und 4000 Gebäude abgerissen. Auch die Stadt Zürich rechnet: Dort wurden in den letzten zwanzig Jahren 13 695 Wohnungen abgebrochen, im Jahr 2021 mit 1768 so viele wie nie zuvor. Freilich sind Wohnungen in grösserer Zahl neu entstanden – aber diese Abrissfreude ist weder ökologisch noch sozial nachhaltig, denn in den meisten Fällen werden mit dem Bagger auch gewachsene nachbarschaftliche und kulturelle Strukturen zerstört. Und der Pro-Kopf- Flächenverbrauch ist bei neuen Wohnungen grösser. «Wenn es so weitergeht, müssen in den nächsten Jahren Zehntausende Menschen ihr Haus, ihr Quartier oder gar die Stadt verlassen», sagt Walter Angst vom Mieterinnen- und Mieterverband Zürich. Über vertriebene Menschen gibt es keine Zahlen, schon gar nicht schweizweite, aber was die weggeworfene Bausubstanz betrifft, weiss man: Diese Art der Erneuerung, die – obwohl auch ohrenbetäubend – schleichend und in ihren Dimensionen kaum fassbar vonstatten geht, beschert der Schweiz 84 % ihres gesamten Abfallvolumens.
Bauschutt: Ein jährlicher Zug bis Kapstadt
500 Kilogramm Bauschutt fallen hierzulande pro Sekunde an, sagt «Countdown 2030» in der Ausstellung, pro Jahr seien es 7,5 Millionen Tonnen. Sie stützen sich auch dabei auf Zahlen des BAFU. «Diese jährlich in der Schweiz anfallende Menge entspricht einem Güterzug von Zürich bis Kapstadt», sagt Rahel Dürmüller. Das Material gelangt in der Realität nicht nach Südafrika, sondern zu einem grossen Teil in Deponien. Dort gibt es aufgrund der hohen Bautätigkeit bereits Platznot. Eine in den Wald gebaute Deponie bei Liestal BL beispielsweise ist 32 Jahre früher als geplant bereits voll, wie der WWF Region Basel aufdeckte – allerdings auch weil man offenbar aus anderen Regionen Bauabfall importiert hat.
Nicht aller Bauschutt wird in Deponien entsorgt – ein Teil wird thermisch verwendet, beispielsweise zum Heizen, oder geht in die Wiederverwertung. Das klinge aber besser, als es sei, sagt Rahel Dürmüller: «Das meiste ist Downcycling, wird also minderwertig wiederverwendet. Aus Sicht des Materialkreislaufs ist dies sinnvoll, aus energetischer Sicht aber nicht immer. Denn die Aufbereitung kostet viel Energie; um Beton zu rezyklieren, braucht es sogar beinahe mehr Energie als für die Herstellung von neuem.» Unter dem Strich sei Recycling zwar besser als Wegwerfen, aber noch viel besser wäre es, die Strukturen zu erhalten.
Warum wird so viel abgerissen?
An einem Donnerstagabend im Oktober treffen sich in der Ausstellung in Basel gut zwei Dutzend Architekt*innen und andere im Bau und der Stadtentwicklung Tätige, um darüber zu diskutieren, warum überhaupt noch abgerissen wird. Moderatorin, Eingeladene und Publikum sitzen auf Augenhöhe im offenen Kreis, es entsteht eine rege Diskussion, bei der es darum geht, wer die Treiber der Abrisspraxis sind. Man ist sich einig, dass nebst anderem auch gesetzliche Fehlanreize – dazu gleich noch mehr – sowie das massenhaft vorhandene Geld den Abriss vorantreiben, denn für institutionelle Anleger wie Pensionskassen sind Immobilien, die sie neu erstellen, Renditevehikel: Mit teuren Wohnungen in Ersatzneubauten lässt sich mehr Geld abschöpfen als mit bestehenden Häusern und den Menschen, die schon seit Jahrzehnten darin leben. Ausserdem braucht es für neue Häuser viele neue Materialien.
Studierende fordern den Wandel
An der ETH Zürich gärt jetzt aber auf Seiten der Studierenden ein neues Bewusstsein, wie verschiedenem Leute beobachten. Auch Rahel Marti, Architektin und Redaktorin bei der Architekturzeitschrift «Hochparterre», weiss: «Heutige Studierende wollen ökologisch bauen lernen und fordern ein, dass die Professor*innen sie entsprechend unterrichten.» Augenöffnend ist die Masterarbeit dreier ETH-Studenten zum Abriss der riesigen Überbauung Wydäckerring in Zürich – sie thematisieren in ihrem Film, wie achtlos Gebäude abgerissen werden, wie eine Kultur des Erhalts wertvoller Substanz fehlt.
Auch der Zürcher Architekt Philipp Fischer von Enzmann/Fischer beobachtet, wie sich die Haltungen und Interessen in der Architekturszene seit kurzer Zeit verändern, über die Hochschulen hinaus. Ohne zu verheimlichen, dass auch sie noch Beton-Altlasten haben, sagt er in der Diskussionsrunde: «Früher schien abreissen und neu bauen einfach normal. Aber jetzt hat sich, in unglaublich schnellem Tempo, ein neues Denken etabliert, auch in unserem Büro. Innert nur zweier Jahre.» Lacaton/Vassal aus Frankreich hätten viel dazu beigetragen. Das 2021 mit dem Pritzkerpreis geehrte französische Architekturteam sorgte mit der Transformation eines riesigen, zuvor nicht besonders ansehnlichen Sozialwohnungsbaus in Bordeaux für Aufsehen – und neulich in Zürich, auch weil sie beim Wettbewerb um die Erneuerung der Maaghallen (nur) auf dem zweiten Platz landeten. Lacaton/Vassal wollten das Industrieerbe, das inzwischen zu einem wichtigen Kulturort geworden ist, erhalten – aber die Jury platzierte sie auf Rang zwei, um ein Projekt gewinnen zu lassen, das den Abriss der Industriehallen vorsieht.
Hätte man doch die Klimajugend gefragt
Dass Projekte, die vom Bestehenden ausgehen, zwar gewürdigt werden, aber nur auf dem zweiten Platz landen, scheint zurzeit öfters vorzukommen, wie sich in der Diskussion zeigte. Auch Philipp Fischer machte diese Erfahrung kürzlich. Sein Büro hatte mit «Werkstadt» am Wettbewerb für das Schulhaus Höckler in Zürich-Leimbach teilgenommen. Man sah vor, mit dem alten Industriebestand zu arbeiten, ihn grösstenteils zu erhalten. Es siegte aber ein Abriss-/Neubauprojekt. In der Jury-Begründung des Amtes für Hochbauten der Stadt Zürich lautete der letzte Satz in der Würdigung des Projekts: «Aber würde man die Klimajugend fragen, so wäre ‹Werkstadt› wohl ihre neue Schule.»
Offenbar braucht es eine gehörige Portion Zynismus, um sich angesichts der Klimakrise für Abbrüche zu entscheiden. Es scheint aber auch der einfachere Weg zu sein. Denn, so sagen die Fachleute: Beim Bauen im Bestand und überhaupt beim Weiter-und Wiederverwenden von Materialien sieht man sich mit allerlei Unvorhersehbarem konfrontiert. Es braucht Improvisationswille und ist bei grösseren Eingriffen kostenintensiv. Ausserdem hat man hierzulande – anders als etwa in Holland – erst wenig Erfahrung damit.
Bergacker: Eine andere Zukunft ist möglich 32 Mehrfamilienhäuser mit 408 Wohnungen sollen im Bergacker in Zürich-Affoltern abgerissen, die Siedlung komplett neu gebaut werden (siehe M+W 6/21). 900 Mieterinnen und Mieter von günstigen Wohnungen sind vom Erneuerungsprojekt der Stiftung Habitat 8000 und Swiss Life betroffen. Geht es sozial und ökologisch nicht nachhaltiger? Das wollten das Baubüro InSitu, Urban Equipe und der MV Zürich wissen. Sie haben zusammen mit Studierenden der ETH Zürich eine Studie erarbeitet, welche die Siedlung sozial, ökologisch, ökonomisch und städtebaulich untersucht. Jetzt liegt das Resultat vor: Ja, es geht deutlich besser, eine Erneuerung im Bestand ist möglich – und sie wäre viel ökologischer. Denn auf die gesamte Lebensdauer der Gebäude berechnet, würde ein Neubau, wie er jetzt vorgesehen ist, doppelt so viel CO2 verursachen wie eine kluge Sanierungs-und Erweiterungsbau-Lösung. «Eine andere Zukunft im Bergacker ist möglich – indem mit dem Bestand gebaut wird», sagt Walter Angst vom MV Zürich. Sie wäre zudem sozial nachhaltiger als eine Leerkündigung.
Weitere Informationen zur Studie: www.beispiel-bergacker.ch
Politik und Architekt*innen sind gefordert
Und dann sind da noch die gesetzlich installierten Fehlanreize. Etwa dass seit 1. Januar 2020 bei Ersatzneubauten Rückbaukosten bei den direkten Bundessteuern abgezogen werden können. Solches will «Countdown 2030» mit der Petition beseitigen. Die Aktivist*innen, die auch Bauprofis sind, fordern ferner, dass die Entsorgungskosten verteuert werden, es für Abriss eine Bewilligungspflicht gibt und Gemeinden, Kantone und der Bund bei ihren eigenen Bauten mit gutem Beispiel vorangehen. Sie wollen Tempo sehen, denn noch planen die meisten im Bau ohne jegliches Klimabewusstsein, wie auch Rahel Marti von «Hochparterre» wahrnimmt: «Es gibt jede Menge Büros, bei denen die Dringlichkeit noch nicht angekommen ist. Die erwischt man nur mit politischen Vorgaben und Sanktionen. Auch ein CO2-Budget pro Kopf wäre sicher wir-kungsvoll.»
In Zürich beschloss der Gemeinderat dieses Jahr, dass die Stadt als Bauherrin nicht mehr einfach abreissen und neu bauen darf, sie muss sich zuerst über Energiebilanzen beugen. Ziel ist unter anderem, dass vermehrt im Bestand erneuert wird. In Basel-Stadt ist man diesbezüglich ebenfalls auf gutem Weg. Im Kanton Bern verlangt eine Motion, dass Sanierungen anstelle von Ersatzneubauten gezielt gefördert werden. Auch auf Bundesebene bewegt sich – langsam – etwas. Die parlamentarische Initiative «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken» verlangt, dass mit einer Gesetzesgrundlage die Umweltbelastung durch die Verwendung kreislauffähiger Materialien und durch die Vermeidung von Abfällen massgeblich reduziert wird, explizit auch im Bau. Die zuständige Kommission hat zwei weitere Jahre Zeit für die Aus-arbeitung.
An jenem Oktoberabend im Schweizerischen Architekturmuseum sind sich auch die Anwesenden einig: Die Politik muss dringend ran! Und auch die eigene Gilde. Während im Nebenraum die Bagger auf der Leinwand unermüdlich Mauerteile zum Einsturz bringen, erinnert der ebenfalls an der Diskussion teilnehmende Walter Angst vom MV Zürich daran, wie wichtig es ist, früh zu erkennen, wenn der Abriss eines Hauses geplant ist. Er appelliert deshalb an die Architekt*innen, die jeweils zu den Ersten gehören, die über Abrissprojekte informiert sind: «Teilt euer Wissen!»
Martina Binder auf dem Balkon ihrer Wohnung: An Lüften oder Draussensitzen war diesen Sommer nicht zu denken. Bild: Isabel Plana
Immer mehr Mieter*innen sind in ihren vier Wänden von Baulärm geplagt – und fragen sich: Kann ich eine Entschädigung fordern?
Balkon mit Blick ins Grüne – das war einmal. Jetzt klafft vor der Wohnung von Familie Binder eine riesige Baugrube, in der heulend zwei Bagger am Werk sind. «Mitte Mai hat es angefangen», erinnert sich Martina Binder und zückt ihr Handy. Sie hat Fotos und Videos gemacht vom Abbruch der vier Mehrfamilienhäuser, die in den 1940er-Jahren hier mit viel Grünraum rundherum erbaut worden waren. Mehrere Wochen dauerte es, bis die Gebäude abgetragen waren, danach begann der Aushub für die künftige Tiefgarage. «Die Bauarbeiten erzeugten viel Lärm und Staub. Lüften oder auf dem Balkon sitzen war diesen Sommer tagsüber nicht möglich», erzählt Binder. «Selbst mit geschlossenen Fenstern war der Lärmpegel noch hoch.» Eine enorme Belastung für die Hausfrau und Mutter, die unter der Woche den ganzen Tag zuhause ist und dafür am Wochenende arbeitet – ausgerechnet dann, wenn die Bagger ruhen.
Anfragen nehmen zu
Die Baustelle vor Familie Binders Wohnung ist bei Weitem nicht die einzige im ruhigen und grünen Zürcher Quartier Alt-Wiedikon. In den letzten Jahren ist es hier lärmiger und grauer geworden. Im Bermuda-Dreieck zwischen Bahnhof Binz, Heuried und Schmiede Wiedikon verschwinden immer mehr Häuser, Bürogebäude und ganze Siedlungen samt Gärten und Bäumen, um grösseren Ersatzneubauten Platz zu machen. Über 360 Wohnungen wurden im Zeitraum von 2017 bis 2021 im Zürcher Kreis 3, zu dem das Quartier Alt-Wiedikon gehört, abgebrochen – und an die 1000 neu gebaut, wobei es sich ausschliesslich um Ersatzneubauten handelt. Für fast 500 neue Wohnungen wurde allein im letzten Jahr die Baubewilligung erteilt – viele davon dürften heuer bereits im Bau sein.
In anderen Quartieren wie Albisrieden oder Altstetten ist die Wohnbautätigkeit noch reger. Gesamtstädtisch betrachtet, wurden von 2017 bis 2021 über 4200 Wohnungen abgerissen – 1768 davon alleine im letzten Jahr – und über 11 700 neu gebaut. Berücksichtigt man ausserdem noch all die Strassen-und übrigen Tiefbauprojekte, ergibt das eine stattliche und wachsende Zahl lärmgeplagter Mieter*innen. Entsprechend haben die lärmbedingten Anfragen bei der Rechtsberatung des Mieterinnen- und Mieterverbands Zürich in letzter Zeit merklich zugenommen. Die Frage, die die meisten umtreibt: Kann ich eine Mietzinsreduktion verlangen?
Was der MV empfiehlt
«Ja», sagt Nicole Schweizer, Rechtsberaterin beim MV Zürich, «wer sich durch Baulärm in der Nutzung seiner Wohnung beeinträchtigt fühlt, kann eine Mietreduktion beantragen.» Dabei spiele es keine Rolle, ob der Neubau nebenan durch den eigenen Vermieter oder eine andere Bauherrin realisiert wird. «Im letzteren Fall zahlen Vermieter*innen eine Mietreduktion ja nicht aus der eigenen Tasche, sondern können dafür ihrerseits bei der Bauherrschaft eine Entschädigung einfordern», erklärt Schweizer. Das sei aber mit einigem administrativem Aufwand verbunden, weshalb viele Vermieter*innen eine Mietreduktion vermeiden wollen. Oft heisst es dann, man müsse mit Baulärm rechnen, wenn man in der Stadt lebt. Dieses Argument lässt Schweizer nicht gelten. «Das ist eine Ausrede der Vermieter*innen und mietrechtlich kein ausschlaggebendes Kriterium.»
Wer unter Baulärm leidet, kann sich also wehren und eine Entschädigung verlangen, in Form einer Mietreduktion für die Dauer der Lärmbelastung oder auch in Form eines einmaligen Pauschalbetrags. Das richtige Vorgehen ist dabei entscheidend, wie Schweizer aufzeigt. «Wichtig ist, sich mit einem eingeschriebenen Brief bei der Vermieterschaft zu melden. Darin schildert man die Situation – also seit wann und wie die Wohnqualität durch Lärm-oder auch Staubemissionen einer Baustelle beeinträchtigt ist, dass man zum Beispiel den Balkon nicht mehr nutzen kann – und bittet um einen Vorschlag für eine Mietreduktion.»
Lärmbelastung dokumentieren
Manche Vermieter*innen reagieren gar nicht oder erteilen direkt eine Absage. Andere gehen auf das Anliegen ein, wollen aber erst nach Abschluss der Bauarbeiten über die Höhe der Mietreduktion verhandeln. Im besten Fall machen sie direkt einen Vorschlag, «meistens im Bereich von 5 bis 10 Prozent», wie die Rechtsberaterin aus Erfahrung weiss. Ob das angemessen oder zu tief ist, müsse im Einzelfall beurteilt werden. «Wir empfehlen den betroffenen Mieter*innen, zu uns in die Beratung zu kommen, wenn sie ein Angebot auf dem Tisch haben und unsicher sind, ob es angemessen ist – und erst recht, wenn sie keine Reaktion oder eine Absage erhalten haben.»
Zudem rät Schweizer, die baustellenbedingte Lärmbelastung möglichst nachvollziehbar zu dokumentieren. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn man die Sache weiterzieht und es zu einem Schlichtungsverfahren kommt. «Idealerweise führt man eine Art Störungsprotokoll und hält darin für die einzelnen Bauetappen Art und Ausmass des Lärms fest», sagt Schweizer. Auch Videos und Fotos seien hilfreich. Dann stünden die Chancen in der Regel gut, dass man sich vor der Schlichtungsbehörde auf eine Entschädigung einigen kann. Im Rahmen eines solchen Vergleichs könne darüber hinaus auch ein frühzeitiges Auszugsrecht festgehalten werden. «Was auch immer man anstrebt, am besten ist, wenn sich mehrere betroffene Mieter*innen zusammenschliessen und ihre Forderung gemeinsam stellen.»
So sah das zeitweilig aus – Martina Binder hat den Abriss der vier Mehrfamilienhäuser mithilfe von Fotos und Videos dokumentiert. Bild: zVg
Nachbar*innen mobilisieren
Das hat sich auch Adrian Kunz* gedacht und ging auf seine Nachbar*innen zu, als die Bauarbeiten auf der gegenüberliegenden Strassenseite immer lauter wurden. Seit über einem Jahr wird hier an der Müllerstrasse im Kreis 4, mitten im Wohnquartier, ein grosses Bürogebäude kernsaniert. «An konzentriertes Arbeiten war bei dem Lärm nicht zu denken», erinnert sich Kunz, der wie viele letzten Winter im Homeoffice war. «Seit ich in der Stadt lebe – das sind jetzt bald zehn Jahre – hatte ich praktisch bei jeder Wohnung eine Baustelle in der Nachbarschaft», erzählt er. In der Vergangenheit hat er sich damit abgefunden, aber jetzt reicht es ihm. «Ich habe nichts dagegen, dass gebaut wird. Es gehört zu einer Stadt, dass sie sich verändert, dass sie verdichtet wird. Aber die Mieten in Zürich sind so hoch, dass man dafür entschädigt werden sollte, wenn man Baulärm ertragen muss.» Kunz nahm die Sache an die Hand und organisierte mit dem MV Zürich einen Informationsabend für die betroffenen Mieter*innen. Daraufhin entschieden sich sechs Parteien, beim Vermieter eine Mietzinsreduktion einzufordern. Wie die Sache ausgeht, ist noch offen.
Nicht zu lange warten
Im Rahmen einer Infoveranstaltung des MV Zürich, die eine Nachbarin für die betroffenen Mieter*innen im Quartier organisiert hatte, erfuhr auch Martina Binder von der Möglichkeit, eine Mietzinsreduktion einzufordern. Zu diesem Zeitpunkt hatte die junge Mutter aber andere Prioritäten: Sie war intensiv auf Wohnungssuche. Mit dem Baulärm war der Druck umzuziehen gestiegen. «Wir hatten schon seit Längerem vor, etwas Grösseres zu suchen, weil eine 2-Zimmer-Wohnung mit einem Kind auf Dauer zu klein ist. Ohne die Baustelle hätten wir uns aber mehr Zeit lassen können, denn es ist nicht einfach, in diesem beliebten Quartier etwas Bezahlbares zu finden.» Statt sich nur auf ausgeschriebene Wohnungen zu bewerben, begann Binder proaktiv bei Vermieter*innen nachzufragen, die Wohnungen im Quartier hatten. Mit Erfolg. Auf Anfang Oktober ist die Familie nach 14 Jahren aus ihrer alten Wohnung ausgezogen. «Jetzt habe ich den Kopf wieder frei und überlege, nachträglich eine Mietzinsreduktion bei unserer alten Vermieterin zu verlangen.»
Das ist allerdings schwierig. «Auf eine nachträgliche Forderung werden Vermieter*innen kaum eingehen und in einem Schlichtungsverfahren wären die Erfolgschancen auch eher gering», dämpft Rechtsberaterin Schweizer die Hoffnung. Grundsätzlich gilt: Je früher man sich an die Vermieterschaft wendet und anfängt, die Lärmbelastung zu dokumentieren, desto besser stehen die Chancen.
Nach dem Motto «Erst einfacher rauswerfen, dann die Mieten erhöhen» wollen die Immobilienkreise im Parlament zuerst den Kündigungsschutz aufweichen und dann Mieterhöhungen erleichtern. In der Dezembersession soll es losgehen.
Über mehrere Jahre hinweg haben die Vertreter der Immobilienlobby im Parlament eine ganze Reihe von Vorstössen eingereicht, mit denen sie das Mietrecht angreifen und damit die Rechte der Mietenden schwächen wollen. In der kommenden Dezembersession nun werden die ersten Gesetzesvorlagen vom Nationalrat behandelt. Worum geht es?
Darum geht es im Einzelnen
Zur Debatte im Nationalrat stehen drei Gesetzesvorlagen, von denen der Mieterinnen- und Mieterverband zwei bekämpft: die zum Eigenbedarf und die zur Untermiete.
Die erste Vorlage will konkret, dass beim Eigenbedarf – wenn also ein*e Vermieter*in eine Wohnung für sich selber oder ein Familienmitglied beanspruchen will – nicht mehr nachgewiesen werden muss, dass dieser «dringlich» ist. Im Streitfall würde dadurch die Lebenssituation der Mieter*innen nicht mehr berücksichtigt – auch dann nicht, wenn sie prekär ist. Eine Abwägung würde so immer zugunsten der Vermieterschaft ausfallen.
Der Eigenbedarf wird bereits heute oft nur als Vorwand geltend gemacht, um vor allem langjährige Mietende loszuwerden und die Wohnung teurer weiterzuvermieten. Würde die Vermieterschaft vom Nachweis der Dringlichkeit des Bedarfs befreit, wie es der Vorstoss will, würde das Risiko von Missbräuchen vervielfacht und die Position der Mietenden zusätzlich geschwächt.
Die zweite Gesetzesvorlage will das Recht auf Untermiete gegenüber heute stark einschränken. Er will eine Reihe von einseitigen und willkürlichen Gründen einführen, mit denen eine Untervermietung verweigert oder sogar der Mietvertrag der Person gekündigt werden kann, die ihre Wohnung untervermietet. Eine Untervermietung soll beispielsweise dann abgelehnt werden können, wenn sie länger als zwei Jahre dauert. Das ist heutzutage realitätsfremd.
Zusätzlich sollen Vermieter*innen neu ein ausserordentliches Kündigungsrecht (Frist: 30 Tage) erhalten für den Fall, dass die Mieterschaft bei einer Untervermietung gewisse Formvorschriften nicht einhält. Eine Mieterin könnte damit aus ihrer Wohnung geworfen werden, nur weil sie etwa vergessen hat, eine Änderung im Untermietvertrag mitzuteilen.
Und darum geht es wirklich
So viel zu den Einzelheiten. Im Grunde geht es den Initiant*innen um ein übergeordnetes Ziel: Sie wollen eine Aufweichung des Kündigungsschutzes der Mietenden. Nur so nämlich – durch einen einfacheren Rauswurf und eine darauf folgende Neuvermietung – können die Mieten und damit die Renditen substanziell erhöht werden.
Der Bundesrat hat am 19. Oktober entschieden, dem Parlament zu empfehlen, nicht auf die beiden Vorlagen einzutreten. Das ist bemerkenswert, denn die Landesregierung ist bisher nicht dafür aufgefallen, dass sie sich besonders für die Mietenden eingesetzt hätte (lesen Sie dazu auch den Kommentar von MV-Präsident Sommaruga).
Sollten National- und Ständerat die beiden Vorlagen trotzdem annehmen, wird der Mieterinnen- und Mieterverband gegen jede einzelne das Referendum ergreifen – das ist leider nötig (siehe Text unten) – und die Rechte der Mietenden gegen die Immobilienlobby verteidigen. Denn diese Gesetzesvorlage ist leider erst der Anfang …
Mehrere Referenden nötig Weil von der Immolobby orchestrierte Parlamentarier*innen bewusst darauf verzichtet haben, die Vorstösse wie üblich zu einer einzigen Gesetzesvorlage zusammenzufassen, muss gegen jede Gesetzesänderung einzeln das Referendum ergriffen werden. Diese Salamitaktik wurde bewusst gewählt, um die Gegenwehr zu erschweren.
Weitere Referenden in Sichtweite
Nach dem Motto «Erst einfacher rauswerfen, dann die Mieten erhöhen» soll es in einem zweiten Schritt nämlich für Vermieter*innen noch einfacher werden, die Renditen in die Höhe zu treiben. Und die Mieter*innen auf der anderen Seite sollen gleichzeitig noch weniger Möglichkeiten haben, sich gegen missbräuchliche Mieten respektive Renditen zu wehren. Die entsprechenden Vorstösse sind bereits im November in der zuständigen Kommission traktandiert und das Parlament wird sich voraussichtlich 2023 mit ihnen befassen. Die Folge dieser Vorstösse wäre, dass die Mieten in der Schweiz noch stärker ansteigen würden, als sie es heute schon tun. Die nächsten Referenden sind also schon in Sichtweite.