Wechselt eine Immobilie die Eigentümerschaft, stellt sich für Mietende die Frage, ob sie mit einer baldigen Kündigung oder Mietzinserhöhung rechnen müssen und wie sie sich gegebenenfalls dagegen wehren können.
Priska Affentranger ist es pudelwohl in ihrer gemütlichen 3-Zimmer-Wohnung in St. Gallen. Die Miete ist günstig, die Lage zentral und das Verhältnis zur Vermieterin angenehm. So lässt es sich leben. Deshalb ist Affentranger zutiefst verunsichert, als sie den Brief ihrer Vermieterin überfliegt. In knappen Zeilen teilt diese ihr darin mit, sie habe die Liegenschaft verkauft und der neue Eigentümer werde sich bald bei ihr melden.
Ihre Verunsicherung kommt nicht von ungefähr. Nach dem Verkauf einer Liegenschaft – «Handänderung» im Fachjargon – kommt es gelegentlich zu einer veränderten Nutzung oder gar zu Kündigungen. Die Sorge ist berechtigt, Affentranger aber nicht gänzlich schutzlos.
Kauf bricht Miete nicht
Eine Woche später steht tatsächlich ein junger Mann vor Affentrangers Tür und stellt sich als ihr neuer Vermieter vor. Er sei rasch vorbeigekommen, damit sie den neuen Mietvertrag unterzeichnen könne – «Kauf bricht Miete» fügt er an. Nur zu gut erinnert sich Affentranger an diesen Satz, welcher ihr während ihrer KV-Lehre eingebläut wurde. Doch das ist einige Jahre her und der Grundsatz glücklicherweise ein Relikt aus alten Zeiten. Seit der Revision des Mietrechts im Jahr 1990 fällt ein Mietvertrag nämlich nicht automatisch dahin, wenn die Eigentümerschaft wechselt. Vielmehr gehen sämtliche Rechte und Pflichten des Mietvertrags auf die neue Eigentümerschaft über. So steht es im Artikel 261 OR. Affentranger muss den Vertrag also nicht unterschreiben, da sie auch nach dem Verkauf Mieterin ihrer liebgewonnenen Wohnung ist.
Trotzdem lassen sich immer wieder Mietende übertölpeln und unterschreiben – im Glauben, sie befänden sich durch den Verkauf in einem «vertragslosen» Zustand – einen neuen Mietvertrag. Dies meist zu ungünstigeren Konditionen, wie zum Beispiel einem höheren Mietzins. Apropos Mietzinserhöhung: Eine solche ist oftmals versteckt, weshalb viele Mietende blindlings in die Falle tappen. Wer beispielsweise anstelle eines alten Mietvertrags vom Juli 2009 einen neuen Vertrag mit unverändertem Mietzins unterschreibt, handelt sich eine versteckte Mietzinserhöhung von fast 20 Prozent ein. Dies, weil der alte Mietzins auf einem Referenzzinssatz von 3,25 % basiert, der aktuelle Referenzzinssatz jedoch nur noch bei 1,25 % liegt.
Mietzinserhöhung nach Verkauf
Darf die neue Eigentümerschaft nach dem Kauf die Miete erhöhen? – Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf sie den Mietzins so anheben, dass sie auf dem Kaufpreis und allfälligen weiteren Investitionen eine ausreichende Rendite erwirtschaftet. War der Kaufpreis aber übersetzt, gilt diese Regel nicht. Ob die neue Eigentümerschaft einen Anspruch auf eine Mietzinserhöhung hat, lässt sich ohne aufwändige Abklärungen nicht feststellen. Angesichts der aktuell tiefen Zinsen wird die Rendite in den meisten Fällen aber auch ohne Mietzinserhöhung ausreichend sein.
Will der neue Vermieter Affentrangers Mietzins erhöhen, ist dies erst auf den nächsten Kündigungstermin und unter Einhaltung der Kündigungsfrist möglich. Zudem muss er ihr die Mietzinserhöhung auf einem amtlichen Formular mitteilen. Affentranger kann diese Erhöhung bei der Schlichtungsbehörde anfechten. Diese überprüft dann in einem kostenlosen Verfahren, ob die Erhöhung gerechtfertigt ist.
Kündigung nach Hausverkauf
Darf der neue Vermieter Affentranger die Wohnung kündigen? – Ja, er darf. Wie der ehemalige Vermieter muss er sich dabei aber an die vertraglichen und gesetzlichen Kündigungstermine halten. Affentranger kann eine Kündigung innert 30 Tagen nach Erhalt bei der Schlichtungsbehörde als missbräuchlich anfechten und eine Erstreckung verlangen. Plant der neue Vermieter beispielsweise ein Bau- oder Sanierungsprojekt und ist dieses im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht ausgereift, ist die Kündigung missbräuchlich. Gar ungültig ist die Kündigung, wenn die neue Eigentümerschaft die Kündigung ausspricht, bevor sie überhaupt im Grundbuch eingetragen ist.
Ist die Kündigung weder ungültig noch missbräuchlich, hat Affentranger im Härtefall zumindest Anspruch auf eine Erstreckung. Ob und wie lange das Mietverhältnis erstreckt wird, ist eine Ermessensfrage. Dabei werden die Interessen von Affentranger und jene des neuen Vermieters gegeneinander abgewogen.
Dringender Eigenbedarf
Affentrangers Mietvertrag enthält eine Mindestvertragsdauer. Diese ist noch nicht abgelaufen. Ihr Vertrag kann erst in zwei Jahren ordentlich gekündigt werden. «Glück gehabt», denkt sie sich. Doch wiegt sie sich da nicht in falscher Sicherheit?
Grundsätzlich ist der neue Eigentümer an die Mindestvertragsdauer gebunden. Doch das Gesetz sieht in Artikel 261 Absatz 2 OR eine Sonderregelung vor. Macht die neue Eigentümerschaft für sich oder für nahe Angehörige einen dringenden Eigenbedarf geltend, kann sie das Mietverhältnis ausnahmsweise mit der gesetzlichen Kündigungsfrist auf den nächsten ortsüblichen Termin kündigen. Lange überlegen darf sie dabei aber nicht. Sie muss den nächstmöglichen Termin nutzen, auch wenn für die Kündigung nur noch wenige Tage zur Verfügung stehen. Wird die neue Eigentümerschaft beispielsweise am 22. Dezember 2021 als solche ins Grundbuch eingetragen und ist der nächste ortsübliche Kündigungstermin der 31. März 2022, so muss die Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von drei Monaten bis spätestens am 31. Dezember 2021 eintreffen. Lässt sie die erste Gelegenheit zur ausserordentlichen Kündigung verstreichen, ist sie an die vertraglichen Fristen und Termine für die Kündigung gebunden, insbesondere auch an die Mindestvertragsdauer.
Allerdings muss ein «dringender Eigenbedarf» auch wirklich dringend sein. Es genügt nicht, dass die neue Eigentümerschaft einfach Lust hat, die erworbene Liegenschaft so schnell wie möglich zu beziehen. Auch dass der im Ausland lebende Sohn irgendeinmal einziehen möchte, berechtigt nicht zu einer ausserordentlichen Kündigung. Dringlichkeit liegt aber vor, wenn die Käuferschaft beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen auf die neue Wohnung angewiesen ist.
Ehemaliger Vermieter haftet
Selbstverständlich kann Affentranger eine Kündigung wegen dringenden Eigenbedarfs bei der Schlichtungsbehörde anfechten. Der neue Vermieter muss dann beweisen, dass der Eigenbedarf absolut dringend ist. Stellt sich im Schlichtungs- oder Gerichtsverfahren aber heraus, dass der dringende Eigenbedarf gar nicht besteht, sondern nur als Vorwand dient, ist die Kündigung missbräuchlich. Solche Fälle sind in der Praxis keine Seltenheit.
Sollte der neue Eigentümer mit dem dringenden Eigenbedarf durchkommen und Affentranger frühzeitig kündigen, hätte das für deren ehemalige Vermieterin ein Nachspiel. Sie müsste für allfällige Schäden Affentrangers haften. Müsste diese in eine teurere Wohnung umziehen, hätte ihr die ehemalige Vermieterin bis zum Ablauf der vertraglichen Mindestdauer die Mietzinsdifferenz zu bezahlen. Und auch die Umzugskosten gingen zu ihren Lasten.
Text: Fabian Gloor