Die soziale Auftragsvermittlung Etcetera organisiert bezahlte Arbeitseinsätze für Personen, die erwerbslos oder auf Einkommensergänzung angewiesen sind.
Wenn Jacqueline über ihre Arbeit spricht, ist das Herzblut dafür in ihrer Stimme hörbar: «Ich liebe Menschen», sagt sie rundheraus. Schon im Kindergarten wusste sie, dass sie einmal Krankenschwester werden würde. Dank ihrer aussergewöhnlichen Wissbegierde darf sie schon vor Abschluss ihrer Ausbildung anspruchsvollere Aufgaben übernehmen und startet so ziemlich steil in eine spannende Karriere im Pflegebereich. Bald aber bekommt sie Fernweh, sehnt sich nach der Weite der Wüste. «Mit einem Land Rover fuhren wir von hier aus los, mit dem Schiff übers Meer und durch ganz Nordafrika, Mali, Senegal, Gambia.» Nach einem Jahr Reisen kehrt Jacqueline zurück, wird Abteilungsleiterin, gibt Weiterbildungen und Kurse. Auch als sie Mutter wird, arbeitet sie, baut mehrere Vereine auf und betreut neben ihrem eigenen Sohn oft auch Pflege- und Tageskinder.
Plötzlich arbeitsunfähig
Als ihr älterer Sohn in die Pubertät kommt, erleidet sie unerwartet einen schweren psychischen Zusammenbruch und muss ihren Job aufgeben. Sie erhält von da an eine Invalidenrente, die sie mit Gelegenheitsarbeiten aufbessert. Jacqueline gibt aber nicht auf: «Ich wusste, ich muss arbeiten, ich will gesund werden.» Der zweite Schicksalsschlag kommt mit einem harmlos scheinenden, aber hochinfektiösen Katzenkratzer – sie erleidet eine lebensbedrohliche Blutvergiftung. «Die Sterblichkeitsrate beträgt 70 Prozent. Ich hatte wirklich einfach Glück.» Trotz Medikamenten genest sie nicht, wird komplett arbeitsunfähig. Irgendwann reicht es Jacqueline. Sie schwört der Schulmedizin ab und sagt sich: «Jetzt mache ich es so, wie ich es gut finde.» Statt auf Pillen setzt sie auf Selbstheilung und stellt die Ernährung um – mit Erfolg. Als Belohnung nach der schweren Zeit gönnt sie sich eine Reise in ihre Traumdestination Mali, wo sie sich in die Kultur der Tuareg verliebt. Heute hat sie ihre alte Lebensfreude und ihre Energie wiedergefunden – nur mit der Festanstellung will es noch nicht klappen. Sie betreut Kinder und arbeitet regelmässig bei Etcetera Thalwil.
Vertraglich abgesichert
Personen wie Jacqueline, die vorübergehend oder dauerhaft erwerbslos oder auf einen Nebenerwerb angewiesen sind, erhalten durch die Arbeitseinsätze von Etcetera ihre Arbeitsfähigkeit, haben eine Tagesstruktur und erwirtschaften sich selbst ein Einkommen. Für Jacqueline besonders wichtig: Über Etcetera kann sie ihre Kinderbetreuungsengagements und Putzaufträge vertraglich absichern und ist so vor Ausbeutung geschützt. Dank ihrer langjährigen Erfahrung als Krankenschwester wird sie oft zu den «schwierigeren» Fällen geschickt. Ihr Lieblingskunde, ein Ex-Alkoholiker, nennt Jacqueline freundschaftlich seine «gute Fee» oder gar «Engel». Sie putzen gemeinsam, trinken Kaffee und teilen die Leidenschaft für den Citroën Deux Chevaux. Diesen Kontakt will sie nicht mehr missen – obwohl sie auf der Suche nach einer Festanstellung ist. «Er wird einer der wenigen Kunden sein, die ich ganz sicher behalte. Überhaupt geniesst sie die persönlichen Kontakte mit ihren Kund*innen. Dass sie merkt, wie sehr sie geschätzt wird, motiviert Jacqueline. «Ich bekomme so viele schöne Sachen zu hören, die mir einfach guttun. Das macht mich glücklich – und ist manchmal so viel mehr wert als ein ganzer Haufen Geld.» Die allergrössten Highlights in Jacquelines Leben bleiben aber ihre regelmässigen Reisen nach Mali: «Mein Herz ist dort zuhause.»
Den Lebensunterhalt selber bestreiten
Auch der Logistikfachmann Chris arbeitet für Etcetera Thalwil: als Allrounder im Garten, bei Umzügen oder Renovationen. Auch ihn zieht es zwischendurch in die Ferne, nach Südostasien: Er schwärmt für das wenig bekannte Nordthailand. Dort, nahe an der Grenze zu Laos, führt seine Lebensgefährtin eine Bäckerei und ein Gasthaus. Sein grösster Wunsch ist es, nach seiner Pensionierung auszuwandern, sich seiner Partnerin anzuschliessen, in der Bäckerei zu helfen und die thailändische Geselligkeit zu geniessen. Seine Reserven sind aber «fast komplett weggeschmolzen», wie er erzählt – er hatte bisher wenig Glück in seinem Arbeitsleben. Ursprünglich will er Industriemaler werden. Die toxischen Chlorkautschukfarben setzen seiner Gesundheit aber so stark zu, dass er die Lehre nach nur zwei Jahren abbrechen muss. Später arbeitet er vierzehn Jahre lang im Aussendienst eines Kopiergeschäfts. Vor allem der Kontakt mit Bauingenieur*innen und Architekt*innen – Leuten, die Esprit hatten – bereitet ihm Freude. Als seine Stelle 2013 aus wirtschaftlichen Gründen gestrichen wird, denkt sich Chris: «Jetzt oder nie», nutzt die Zwangsferien für einen Tauchkurs in Thailand und wird Dive-Master. Zurück in der Schweiz, findet er keine Stelle mehr. Seine einzigen Optionen sind Ferienvertretungen, Temporäranstellungen, Kurzeinsätze. Oder um es in Chris’ Worten zu sagen: «Ich habe die Kohlen aus dem Feuer geholt.» Nach einer Weile sieht er keinen anderen Ausweg mehr als den Gang auf das Sozialamt. Doch um längere Zeit dem Staat auf der Tasche zu liegen – dafür ist er zu stolz. Er will seinen Lebensunterhalt selber bestreiten. Er, der sich selbst als «loyalen, treuen Menschen» bezeichnet, ist unkompliziert, was Arbeit angeht. Am liebsten würde er wieder in der Logistik arbeiten oder gärtnern. Gesundheitlich ist er topfit: «In Thailand gehen wir morgens immer zuerst rennen, bevor wir die Bäckerei öffnen – immer dem Fluss entlang.» Bevor er seinen Lebenstraum vom Auswandern verwirklicht, will er nun nochmals ein Jahr arbeiten, sein Konto auffüllen, um dann mit einem guten Gefühl in seine Wahlheimat zu
ziehen.
Text: Laetitia Hardegger und Florentina Walser