Schluss mit Rendite-Sanierungen in Basel

Sie wollen endlich einen echten Wohnschutz für alle – Aktion mit Mietenden auf dem Basler Münsterplatz. Bild: Juri Junkov

Basel verankerte 2018 den Wohnschutz in der Verfassung. Das entsprechende Gesetz wurde aber stark verwässert. Beat Leuthardt erzählt, warum es jetzt noch einmal ein Ja an der Urne braucht.

An einem funkelnd sonnigen Herbsttag steht Beat Leuthardt auf dem gepflästerten Platz vor dem Basler Münster und fasst für die Anwesenden noch einmal zusammen, weshalb es das Ja zur neuerlichen Wohnschutzinitiative braucht: «Mit dem Bschiss-Gesetz, wie es die Regierung jetzt ausgearbeitet hat, kommen die Rendite-Sanierer durch – mit unserem nicht!» Zwanzig vorwiegend ältere Menschen hören ihm zu, Leuthardt hat sie persönlich angefragt, ob sie bei einem Fototermin auf dem Münsterplatz mitmachen – sie werden danach über mehrere Wochen in der ganzen Stadt auf Abstimmungsplakaten zu sehen sein.

Aus Solidarität und Sorge um die Stadt

Manche von ihnen kennt man in Basel schon, die mittlerweile 96-jährige Margrit Benninger etwa oder Eliette Pillonel (84): Beide sollten einfach auf die Strasse gestellt werden – notabene von ihrer eigenen Pensionskasse, jener des baselstädtischen Staatspersonals. Margrit Benninger war zu diesem Zeitpunkt genau 90 Jahre alt – «und wissen Sie was?», wird sie nach dem geduldigen Posieren sagen: «Man bekam ursprünglich ja nur eine Wohnung in dem Haus an der Mülhauserstrasse 26, wenn man beim Staat arbeitete.» Als Polizist wie Eliette Pillonels Mann oder als Jugendsozialarbeiter wie der Mann von Margrit Benninger.

Heute sind sie aus Solidarität da – nach erfolgreichem Widerstand, den sie auch auf der Strasse führten: Es gab 2016 unter anderem eine Petition, und Margrit Benninger zog am 21. Januar 2017 mit 91 Jahren zum ersten Mal in ihrem Leben als Demonstrantin durch die Stadt. Schliesslich konnten die beiden Frauen und eine weitere ältere Mieterin – nach harzigen und langwierigen Verhandlungen des MV Basel – während der Zeit der Totalsanierung in eine provisorische Wohnung umziehen und nach etwas mehr als einem Jahr mit moderaten Mietaufschlägen zurückkehren. Sie erfreuen sich guter Gesundheit. Aus Dankbarkeit gegenüber dem Basler Mieterinnen- und Mieterverband, aus Solidarität mit anderen Mieter*innen und nicht zuletzt aus Sorge um die Stadt engagieren sie sich auch für die aktuelle Wohnschutzinitiative, die den Co-Geschäftsleiter des MV Basel in diesen Wochen auf Trab hält.

Das Basler Wohnschutzgesetz 

September 2013 
Die Initiative «Bezahlbares und sicheres Wohnen für alle!» des MV Basel wird an der Urne abgelehnt. Angenommen wird hingegen der investorenfreundliche Gegenvorschlag der Regierung, der den Abbruchschutz im Wohnraumfördergesetz schwächt. 

Juni 2018 
Die als Folge der Abstimmung von 2013 lancierte Wohnschutz-Initiative wird von den Stimmberechtigten mit über 60 Prozent Ja angenommen. 

Sommer 2020 
Der MV Basel bringt mit Verbündeten in Rekordzeit das Referendum gegen den verwässerten Gesetzesvorschlag der Regierung zur Umsetzung der Wohnschutz- Initiative zustande. Gleichzeitig sammelt die Allianz Unterschriften für die Initiative «Ja zum echten Wohnschutz!». 

November 2020 
Das Referendum wird in der Stadt Basel gewonnen, scheitert aber wegen des Resultats der Gemeinde Riehen mit 56 Stimmen Unterschied. Das regierungsrätliche Gesetz wird am 1. Januar 2022 in Kraft treten. 

November 2021 
Die Initiative «Ja zum echten Wohnschutz!» kommt zur Abstimmung. 

www.wohnschutz-ja.ch 
www.ja-zum-echten-wohnschutz.ch

Initiative verwässert

Wenn es nach ihm ginge, müsste Beat Leuthardt nicht schon wieder mobilisieren. 2018 sorgte der Mieterinnen- und Mieterverband Basel zusammen mit einem breiten Bündnis, dem auch bürgerliche Senior*innen-Organisationen angehörten, im Stadtkanton für eine Sensation: Mit 61 Prozent sagten die Stimmberechtigten Ja zum Wohnschutzgesetz, das den Schutz vor Rendite-Kündigungen als Grundrecht in der Verfassung verankert und dadurch einklagbar macht.

Aber die Freude war von kurzer Dauer: Nicht nur wusste die Immobilien-Lobby die Umsetzung des Wohnschutz- Gesetzes zu verzögern, Regierung und Parlament verwässerten den Massnahmenkatalog dermassen, dass der Co- Geschäftsleiter des MV Basel bald nur noch vom «Bschissgesetz» sprach. Das Referendum dagegen scheiterte zwar wegen weniger als 60 Stimmen knapp; aber der MV Basel hatte bereits die Durchsetzungsinitiative «Ja zum echten Wohnschutz» lanciert. Am 28. November kommt sie nun zur Abstimmung. Im Anschluss an den Fototermin nimmt sich Beat Leuthardt alle Zeit der Welt für die Teilnehmenden. Und gibt M+W Auskunft.

MVBS-Kopräsident Beat Leuthardt instruiert die Anwesenden für die Aktion auf dem Münsterplatz. Foto: Juri Junkov

M+W: Was Margrit Benninger und Eliette Pillonel erlebt haben, ist unerhört: Dass eine Pensionskasse – und erst noch die des staatlichen Personals (PKBS) – renditesaniert und dabei alle Mieter*innen rauswirft, sogar die eigenen Versicherten im hohen Alter. Was hat das mit Basel zu tun?


Beat Leuthardt: Ich könnte jetzt von einem «Sonderfall Basel» sprechen oder so, Tatsache ist aber: Das kann allen passieren, überall, jederzeit. Es hängt aber auch an den verantwortlichen Personen: Wir kennen andere Pensionskassen, die ebenso unter Anlagedruck stehen wie die PKBS, im Unterschied dazu aber ihre Renditen nicht rücksichtslos maximieren, sondern bei ihren Entscheiden das soziale Umfeld und die Sozialpflichtigkeit des Kapitals mitbedenken. Institutionelle Anleger bedrohen aber erwiesenermassen die Wohnsicherheit immer grösserer Teile der Bevölkerung, besonders in den Städten. Die Skrupellosigkeit einzelner Spekulanten – auf unseren Spekulationslisten fanden sich ausschliesslich Männernamen – wurde tatsächlich längst abgelöst von einer Art «institutionalisierter Rücksichtslosigkeit». Negativzinsen und zunehmender Anlagedruck auf dem Finanzmarkt haben die Moral zunehmend beiseite geschoben und bedrohen die Lebensverhältnisse immer grösserer Teile des Mittelstands. Das Wohnschicksal der Menschen hängt zunehmend von einsamen Investitionsentscheiden aus dem fernen Zürich oder dem noch ferneren Schweden oder sogar aus Übersee ab.

Nun haben die Mietenden in Basel nach Annahme von gleich zwei Verfassungsinitiativen im Jahr 2018 aber eigentlich den schweizweit stärksten Schutz vor Rendite-Kündigungen und auch vor Wuchermieten.

Ja, wir haben seit dem 10. Juni 2018 als einziger Kanton der Deutschschweiz auch das Recht auf Wohnen explizit als Grundrecht in der Verfassung verankert.

Trotzdem sieht man in Basel schon wieder Plakate und Flugblätter des Mieterverbandes. «Lasst euch nicht verseggle!» ist darauf zu lesen, am 28. November wird über eine neuerliche Wohnschutz-Initiative abgestimmt. Was ist passiert?

Wider Erwarten ignorierte die Regierung den Volksentscheid erst einmal. Sie wollte die Kantonsverfassung erst umsetzen, nachdem ein entsprechendes Gesetz ausgearbeitet sein würde. Der MV Basel legte noch im selben Herbst ein Schattengesetz vor und …

Moment, was ist mit «Schattengesetz» gemeint?

Wir merkten sehr schnell, dass die Behörden nicht daran interessiert waren, inhaltlich im Sinne des Volksanliegens vorwärts zu machen. Deshalb formulierten wir intern einen Gesetzesentwurf, der alles enthält, was vonseiten der Mietenden erforderlich wäre. Zum Beispiel ein Vorkaufsrecht wie in anderen Kantonen oder auch die Enteignung von leerstehendem Wohnraum. Den Wortlaut dieses Schattengesetzes haben wir aber nie veröffentlicht oder in den politischen Prozess eingebracht.

Trotzdem hat es Wirkung gezeigt?

Ja, wir verheimlichten natürlich nicht, dass wir das in der Hinterhand haben. Es zeigte den erwünschten Effekt: Die Behörden spürten den Druck und mussten zumindest zeitlich vorwärts machen. So brachten sie ein halbes Jahr später bereits ein Gesetz – das war eine sehr reife Leistung der «Stadtentwicklung» als zuständiges Amt.

Und inhaltlich?

… war der Vorschlag der Kommission zwar meilenweit entfernt von Forderungen wie jener nach Nutzung leerstehenden Wohnraums, aber als Kompromiss auch ganz okay. Dann aber musste der Gesetzesvorschlag sieben Mal durch die Wochensitzungen der Regierung und wurde jedes Mal weiter verwässert. Darum wurde das Gesetz letztendlich derart lückenhaft und unbrauchbar, auch was den juristischen Aufbau und die Struktur angeht. Dennoch kam es Ende 2018 so ins Parlament, wo es von bürgerlicher Seite dann noch weiter verwässert wurde.

Ihr nennt es seither «Bschissgesetz» …

Wahlweise auch «Pfuschgesetz» oder «Fake-Gesetz». Es ist ein gefährliches Gesetz geworden, das die Investoren dankbar entgegennahmen, weil es ihnen einen Persilschein ausstellt, ohne dass sie deswegen ihr bürgerfeindliches Gebaren stoppen müssten. Sie passten und passen ihre Kapitalstrategien rasch an. Einige haben erkannt, dass Imageschäden aufgrund von Massenkündigungen wie jener der Credit Suisse am Schorenweg vermieden werden können, wenn den langjährigen Mietparteien eine schwere Sanierung mit anschliessenden massiven Aufschlägen mit genügend zeitlichem Vorlauf angekündigt wird. Dadurch entsteht aber ganz viel Verzweiflung – und das führt schliesslich auch dazu, dass Mietparteien von sich aus in irgendeine schlechte Alternative flüchten. Deren Wohnungen werden dadurch frei für die schamlose Maximierung der Neumieten nach der – nicht selten sinnlosen – Sanierung.

Eure Allianz hat im Sommer 2020 in Rekordzeit die Unterschriften gegen das «Bschissgesetz» zusammenbekommen. Warum habt ihr damals gleichzeitig auch noch für eine weitere Wohnschutz-Initiative Unterschriften gesammelt – jene, die jetzt zur Abstimmung kommt?

Wir wollten nicht nur das gefährliche Regierungsgesetz beseitigen, sondern auch konstruktiv eine bessere Lösung präsentieren. Das Referendum war daher zwar Pflicht, aber eher eine Wegmarke – sozusagen die erste Halbzeit der Partie. Tatsächlich gewannen wir am 29. November 2020 das Referendum in der Stadt, nicht aber in der Gemeinde Riehen – nur 56 Stimmen Unterschied liessen es scheitern. Das regierungsrätliche Bschiss- respektive Pfuschgesetz tritt deshalb am 1. Januar 2022 in Kraft.

Kommt die aktuelle Wohnschutzinitiative durch …

… muss sie sechs Monate später in Kraft treten, also am 28. Mai 2022. Dann würde das Elend der Direktbetroffenen auf dem Basler Wohnungsmarkt endlich enden.

Würde die Wohnschutzinitiative das «Bschissgesetz» obsolet machen? Ja genau. Das Gesetz, wie es die Wohnschutzinitiative vorschlägt, basiert inhaltlich auf dem Entwurf der liberalen Mehrheit der grossrätlichen Kommission, der damals von der investorenfreundlichen bürgerlichen Mehrheit im Rat knapp abgelehnt worden war. Es ist ein blosses Missbrauchsbekämpfungsgesetz – sozusagen ein Gesetz, das von den Investoren Verantwortung fordert.

Es ist also nicht das taktische Schattengesetz?

Nein, gar nicht. Unsere neue Wohnschutz-Initiative ist ein allseits tauglicher Kompromiss. Der bei Annahme aber endlich wieder Ruhe auf den Wohnungsmarkt bringt und den renditeorientierten Grossinvestoren wie Credit Suisse, Zurich Anlagestiftung, UBS Fonds und auch ihren Mitläufern die Hände bindet.

Was unterscheidet es denn so deutlich vom «Bschissgesetz»?

Das Regierungsgesetz ist ein Fehlkonstrukt mit mindestens sieben gravierenden Schlupflöchern. Und es schützt praktisch niemanden von den Hunderten Basler Sanierungsbetroffenen, weil kaum dreissig Prozent aller Mieten überhaupt in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen.

Bei Annahme dürften die Mietenden anderer Städte etwas neidisch nach Basel schauen …

Ja, Stadt und Kanton sind hier fast gleich gross; es fehlt das von Wohnungs- und Mietzinsnot tendenziell weniger betroffene Hinterland und damit auch eine gewisse ländliche «Sperrminorität». Das ist in allen anderen Kantonen der Deutschschweiz anders.

Die Immo-Lobby bemüht gerne Genf als Negativbeispiel. Ebenfalls ein Stadtkanton, hat Genf bereits seit 1961 ein griffiges Gesetz zum Schutz der Mieter*innen. Es werde dort aber wenig umgezogen, wenig saniert, wenig neu gebaut und entsprechend würden die Häuser verlottern, wird behauptet. Das dürfte auch in der aktuellen Abstimmungskampagne in Basel Thema sein …

Selbstverständlich. Tatsächlich hält die Angstmacherei einem seriösen Faktencheck aber nicht stand. Ironischerweise bestätigt ausgerechnet die Pensionskasse Basel-Stadt, dass Genf heute ein guter Ort ist für Investitionen in Immobilien: Letztes Jahr kaufte sie dort ein Portfolio von sieben Mehrfamilienhausarealen im Wert von 500 Millionen Franken.

Text: Esther Banz