Neue Initiative gegen zu hohe Mieten 

Die Generalversammlung in Biel stand im Zeichen der steigenden Mieten und der Angriffe der Immobilien-Lobby auf das Mietrecht. Die Delegierten beschlossen die Lancierung einer neuen Initiative. 

Präsident Carlo Sommaruga eröffnete die Generalversammlung (GV) mit einer Rückschau auf das letzte Verbandsjahr. Es sei ein Jahr gewesen, in dem die Kaufkraft der Mieter*innen stark angegriffen wurde. Nicht mehr nur Geringverdienende, sondern auch der Mittelstand sei von den massiven Kostensteigerungen – insbesondere wegen der Energiepreise und des gestiegenen Referenzzinses – betroffen, so Sommaruga. Sämtliche Vorschläge, die der Mieterinnen- und Mieterverband im letzten Jahr zur Entlastung der Haushalte gemacht hatte, seien jedoch von Bundesrat und Parlament abgelehnt worden. Und nicht nur das: Trotz der angespannten Situation führe die Immobilienlobby im Parlament ihren Angriff auf das Mietrecht fort, sodass der Verband in den nächsten Monaten voraussichtlich gegen vier Vorlagen das Referendum werde ergreifen müssen. 

«Neben dem defensiven Engagement des Verbandes in Form von Referenden braucht es auch ein offensives Engagement», so Sommaruga. Die zunehmende Finanzialisierung des Wohnungswesens habe die Wohnung zu einem Anlagevehikel gemacht, zu einer Ware, deren Preis nicht mehr nach dem Wert, sondern nach den Renditeerfordernissen des Immobilienkapitalmarktes festgelegt werde. Die schrittweise Abschaffung der Kostenmiete zugunsten einer Marktmiete in den letzten 30 Jahren bringe dies sehr deutlich zum Ausdruck. Mithilfe einer Initiative solle eine staatliche Mietzinskontrolle eingeführt und die schleichend eingeführte Marktlogik im Mietsektor durchbrochen werden. 

MV-Generalsekretärin Linda Rosenkranz präsentierte im Anschluss an die Rede von Sommaruga eine Gesamtschau über die anstehenden Kampagnen: Die Referenden und die Initiative sollen in einer einzigen Gesamtkampagne zusammengeführt werden. Die Delegierten beschlossen dafür eine Aufstockung des Generalsekretariats, insbesondere um eine Stelle, die das Online-Campaigning und -Fundraising verstärken soll. 

Neue Initiative gegen hohe Mieten 

Zur Stossrichtung der neuen Initiative des Verbands fand eine lebhafte Diskussion unter den Delegierten statt. Der Vorstand hatte im Vorfeld zwei inhaltliche Elemente vorgeschlagen: Einerseits die Verankerung der Kostenmiete und damit eine Deckelung der Renditen in der Verfassung. Anderseits die Einführung einer regelmässigen und automatischen Kontrolle der Mietzinse. Mit diesen beiden Elementen könne nachhaltig gegen zu hohe Mieten vorgegangen werden, erklärte Vorstandsmitglied und Nationalrat Christian Dandrès: Eine im Gesetz verankerte Kostenmiete verhindere zu hohe Mietzinse bei Neuvermietungen, und mithilfe der Mietzinskontrolle könnten bereits bestehende zu hohe Mieten gesenkt werden. 

Nationalrätin Jacqueline Badran, ebenfalls Vorstandsmitglied, sagte in ihrem Votum, es sei nicht die Zeit für Bedenken und Ängste, der MV befinde sich im Notwehr-Modus. De facto hätten die Hauseigentümer*innen schleichend eine Marktmiete eingeführt, das sei inakzeptabel. Die Konsequenzen seien, dass die Mieter*innen jedes Jahr 10,5 Milliarden Franken zu viel bezahlten. Auch das Bundesgericht sei nicht mehr auf der Seite der Mieter*innen und der parlamentarische Weg sei verschlossen. Darum sei jetzt die Zeit für eine Initiative. «Wer, wenn nicht wir, und wann, wenn nicht jetzt!», appellierte Badran an die Delegierten. Diese folgten schliesslich den Anträgen des Vorstands. Der genaue Wortlaut der Initiative wird nun ausgearbeitet. 

Analyse von BWO-Chef Martin Tschirren 

Gastreferent an der diesjährigen GV war Martin Tschirren, Direktor des Bundesamtes für Wohnungswesen (BWO). Auch Tschirren ging in seiner Rede auf die angespannte Situation der Mieter*innen ein. Sein Bundesamt spreche jedoch noch nicht von einer Wohnungsnot, sondern davon, «dass wir uns in Richtung einer Wohnungsknappheit bewegen». Allerdings seien die Perspektiven nicht rosig, bald könnten tatsächlich ähnliche Zustände herrschen wie Anfang der 90er-Jahre. Die Situation sei sehr dynamisch, der Rückgang der Leerwohnungsziffer erfolge sehr schnell. Das Problem sei, dass sich Angebot und Nachfrage bei den Wohnungen stark auseinanderentwickelten, so Tschirren. Pro Jahr würden wegen der Zuwanderung und Haushaltverkleinerungen 50 000 bis 55 000 neue Haushalte benötigt. Die Bautätigkeit sei in den letzten Jahren aber stark zurückgegangen: 2018 seien noch 53 000 neue Haushaltungen entstanden, seither sei die Zahl um 20 %, diejenige der Baubewilligungen um 28 % gesunken. Worin die Gründe für diesen Rückgang liegen, ist gemäss Tschirren nicht eindeutig feststellbar. 

Zum Schluss seiner Rede ging Tschirren auf den «Runden Tisch zur Wohnungsknappheit» ein, den Bundesrat Guy Parmelin im Mai einberufen hatte. Unter den Teilnehmenden habe ein Konsens darüber geherrscht, dass Handlungsbedarf bestehe. Verschiedene Lösungsansätze etwa zur Umsetzung der Verdichtung, zu einer Beschleunigung der Verfahren oder einer Verstärkung des preisgünstigen Wohnungsbaus würden nun geprüft. Eine Arbeitsgruppe aus staatlichen Akteuren sei daran, einen Aktionsplan auszuarbeiten. Dieser werde im vierten Quartal 2023 diskutiert, und Anfang 2024 werde ein zweiter runder Tisch einberufen. 

Mehr Mitglieder, neues Vorstandsmitglied 

Verbandspolitisch erfreulich ist das erneute Mitgliederwachstum im vergangenen Jahr. Ende 2022 zählte der MV schweizweit rund 228 000 Mitglieder. Angesichts der angespannten Lage auf dem Mietwohnungsmarkt seien die Dienstleistungen der Sektionen nach wie vor sehr gefragt, sagte Vizepräsident und Nationalrat Michael Töngi. Insbesondere die Rechtsberatungen seien für viele Mitglieder wichtig, um sich im Konfliktfall wehren zu können. Im Moment gebe es besonders viele Anfragen im Zusammenhang mit dem gestiegenen Referenzzinssatz. 

An der GV wurde ausserdem Walter Angst, Co-Geschäftsleiter des MV Zürich, neu in den Vorstand gewählt. Er ersetzt den zurückgetretenen Peter Zahradnik.