Kündigung wegen Eigenbedarfs – wann ist sie rechtens?

Illustration: Patric Sandri

Will die Vermieterschaft ihre Wohnung selbst bewohnen, ziehen Mieter*innen oft den Kürzeren. Doch auch gegen Eigenbedarf kann man sich wehren, selbst wenn dieser angeblich noch so dringend ist.

Peter Klein ist zurück aus den Ferien. Im Briefkasten findet er die Abholeinladung für einen eingeschrieben Brief. Eingeschriebene Post verheisst meistens nichts Gutes. Deshalb holt Klein den Brief sofort bei der Postfiliale ab. Und tatsächlich, es ist die Kündigung seiner Wohnung. Formell scheint die Kündigung korrekt zu sein, der Absender hat das amtlich genehmigte Formular verwendet. Als Kündigungsgrund wird «dringender Eigenbedarf» angegeben. Etwas scheint mit dieser Kündigung dennoch nicht zu stimmen. Sie wurde nämlich von einem gewissen «Andreas Flückiger» unterschreiben. Seine Vermieterin heisst doch Annerös Hugentobler. Wer zum Geier ist also Flückiger?

Kauf bricht Miete nicht

Am Telefon stellt Hugentobler Klein vor vollendendete Tatsachen. Sie habe die Wohnung an Flückiger verkauft. Dieser habe ihr ein Angebot gemacht, das sie nicht habe ablehnen können. Nun sei eben Flückiger der neue Eigentümer. Gegen diesen Eigentümerwechsel kann sich Klein nicht wehren. Wenn eine Wohnung verkauft wird, tritt die neue Eigentümerschaft von Gesetzes wegen in die bestehenden Mietverträge ein. Die Rechte und Pflichten aus Kleins Mietvertrag sind also auf Flückiger übergegangen. Als neuer Vermieter kann er den Mietvertrag kündigen, sofern er die vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungstermine und -fristen einhält. Er muss im Zeitpunkt der Kündigung aber tatsächlich bereits Eigentümer sein, also im Tagebuch des Grundbuches schon als neuer Eigentümer eingetragen sein. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam.

Kündigung nach Hausverkauf

«Wenn der Vertrag eins zu eins auf Flückiger übergeht, dann ist folglich auch die vertragliche Mindestdauer weiterhin verbindlich», triumphiert Klein. Sein Mietvertrag kann nämlich erst in zwei Jahren ordentlich gekündigt werden.

Das stimmt, grundsätzlich ist Flückiger an die zweijährige Vertragsdauer gebunden. Doch wenn Käufer*innen einer Liegenschaft einen dringenden Eigenbedarf für sich oder nahe Angehörige geltend machen, dürfen sie das Mietverhältnis ausnahmsweise mit der gesetzlichen Frist (3 Monate für Wohnungen, 6 Monate für Geschäftsräume) auf den nächsten ortsüblichen Termin kündigen. Die Mieterschaft kann sich dann gegenüber der Käuferschaft nicht auf die Mindestdauer berufen. So steht es in Artikel 261 des Obligationenrechts. Kann Flückiger jedoch keinen dringenden Eigenbedarf nachweisen, bleibt er an die vertraglichen Kündigungsmodalitäten – also auch an die Mindestdauer – gebunden.

Dringender Eigenbedarf

Eigenbedarf bedeutet, dass die Eigentümer*innen einer Immobilie diese nicht mehr vermieten, sondern sie selbst bewohnen wollen. Sie können den Eigenbedarf aber auch für ihre nächsten Verwandten und Verschwägerten geltend machen. Dazu gehören Ehegatt*innen, eingetragene Partner*innen, Konkubinatsparter*innen, Kinder, Eltern, Grosskinder sowie Geschwister und deren Ehegatt*innen.

Der Eigenbedarf muss zudem tatsächlich dringend sein. Verlangt wird ein aktueller und ernstgemeinter Bedarf. Die Anforderungen an die Dringlichkeit sind sehr hoch. Es würde beispielsweise nicht genügen, wenn Flückigers Tochter allein der schönen Aussicht wegen in die Wohnung einziehen möchte. Dringen wäre der Eigenbedarf hingegen dann, wenn Flückiger in seiner aktuellen Wohnung von massivem Schimmelbefall betroffen wäre und aus gesundheitlichen Gründen so schnell wie möglich umziehen müsste.

Rasches Handeln

Will die neue Eigentümerschaft wegen dringenden Eigenbedarfs kündigen, ist schnelles Handeln gefordert. Sie muss den nächstmöglichen Termin nutzen, auch wenn für die Kündigung nur noch wenige Tage zur Verfügung stehen. Wurde Flückiger beispielsweise am 22. Oktober 2023 als neuer Eigentümer ins Grundbuch eingetragen und ist der nächste ortsübliche Kündigungstermin der 31. Januar 2024, so muss die Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von drei Monaten bis spätestens am 31. Oktober 2023 bei Klein eingetroffen sein. Verpasst Flückiger die erste Gelegenheit zur ausserordentlichen Kündigung, ist er inskünftig an die vertraglichen Fristen und Termine für die Kündigung gebunden, insbesondere auch an die Mindestvertragsdauer. Eine zu früh – das heisst vor Eigentumsübergang – ausgesprochene Kündigung ist mangels Eigentümerstellung nichtig.

Im Falle einer vorzeitigen Kündigung kann Klein von Hugentobler, seiner ehemaligen Vermieterin, Ersatz für einen allfälligen Schaden verlangen. Muss er zum Beispiel in eine teurere Wohnung umziehen, muss Hugentobler ihm die Mietzinsdifferenz bis zum nächsten regulären Kündigungstermin vergüten.

Kündigung wegen Sperrfrist

Der dringende Eigenbedarf ist für Vermieter*innen – egal wie lange sie die Liegenschaft schon besitzen – ein schlagkräftiges Kündigungsargument, da es sogar eine allfällige Kündigungssperrfrist zu durchdringen vermag. Diese schützt Mieter*innen eigentlich nach Abschluss eines Schlichtungs- oder Gerichtsverfahrens unter gewissen Voraussetzungen drei Jahre lang vor Kündigungen. Nämlich dann, wenn das Verfahren mit einem Vergleich abgeschlossen wird oder wenn ein Urteil oder Urteilsvorschlag weitgehend zugunsten der Mieterschaft ergeht. Ebenfalls zum Tragen kommt der dreijährige Kündigungsschutz, wenn Vermieter*innen ihre Ansprüche zurückziehen, reduzieren oder nach einem gescheiterten Einigungsversuch der Schlichtungsbehörde nicht ans Gericht gelangen, obwohl sie das könnten. Kann die Vermieterschaft einen dringenden Eigenbedarf geltend machen, gilt dieser Kündigungsschutz gemäss Artikel 271a Absatz 3 des Obligationenrechts nicht.

Immolobby schaltet auf Turbo

Für die Immobilien-Lobby kann es nicht schnell genug gehen, bis Mieter*innen die Wohnung verlassen müssen, falls die Vermieterschaft diese für den Eigenbedarf beansprucht. Das Recht der Mieter*innen, solche Kündigung anzufechten mit der Folge, dass es zu längeren Gerichtsverfahren kommen kann, in denen Vermieter*innen die Dringlichkeit des Eigenbedarfs beweisen müssen, ist der Immolobby ein Dorn im Auge. Deshalb will sie das Verfahren beschleunigen und die Einsprachemöglichkeit der Mieterschaft einschränken. Gemäss ihrer parlamentarischen Initiative soll eine Kündigung der Mieträumlichkeiten nicht erst bei einem «dringenden» Eigenbedarf möglich sein, sondern bereits dann, wenn Vermieter*innen «einen bei objektiver Beurteilung bedeutenden und aktuellen Eigenbedarf» geltend machen können. Damit sollen Mieter*innen künftig noch einfacher und schneller aus ihrer Wohnung geworfen werden können.

Leider hat der Nationalrat dieser Vorlage zur Änderung im Mietrecht bereits zugestimmt. Nun steht sie in der Herbstsession im Ständerat zur Debatte. Dass dieser die Aushöhlung des Mieterschutzes stoppt, ist nicht zu erwarten. Dem Mieterinnen- und Mieterverband bleibt daher nichts anderes übrig, als das Referendum zu ergreifen.

Anfechten und Erstreckung verlangen

Bleibt Klein nun nichts anders übrig, als klein beizugeben? Nein, denn trotz Eigenbedarf hat er das Recht, die Kündigung als missbräuchlich anzufechten. Dann muss nämlich Flückiger den Eigenbedarf und dessen Dringlichkeit beweisen. Und selbst wenn ihm das gelingen sollte, kann Klein einen Aufschub verlangen, eine sogenannte Erstreckung des Mietverhältnisses. Voraussetzung ist, dass die Kündigung für ihn eine Härte darstellt. Entgegen einem weit verbreiteten Irrtum ist eine Erstreckung auch möglich, wenn der Vermieter Eigenbedarf geltend macht.

Klein sollte die Kündigung innert 30 Tagen nach Erhalt der Kündigung bei der Schlichtungsbehörde als missbräuchlich anfechten. Einen Antrag auf Mieterstreckung muss er nicht extra stellen. Dieser ist nämlich in der Anfechtung der Kündigung inbegriffen. Wenn die zuständige Schlichtungsbehörde die Kündigung nicht als missbräuchlich ansieht, muss sie automatisch prüfen, ob er einen Anspruch auf Erstreckung hat. Das Verfahren vor der Mietschlichtungsbehörde ist für Mieter*innen kostenlos, ob sie nun eine Kündigung anfechten oder eine Erstreckung beantragen.

Die maximale Erstreckungsdauer beträgt bei Wohnungen vier Jahre. Wie lange das Mietverhältnis tatsächlich erstreckt wird, liegt im Ermessen der zuständigen Schlichtungsbehörde. Sie hat dabei zwischen den Interessen der Mieter- und denen der Vermieterschaft abzuwägen. Als Härtegründe gelten beispielsweise eine lange Mietdauer, eine starke Verwurzelung am Wohnort, knappe finanzielle Verhältnisse oder wenn Kinder unter dem Schuljahr die Schule wechseln müssten. Entscheidend ist auch die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Klein sollte seine Suchbemühungen zuhanden der Schlichtungsstelle deshalb glaubhaft belegen können, etwa mit Kopien von Bewerbungsschreiben oder Internetanfragen.