Genf machts vor

Die Genfer Mietzinskontrolle ist eine einfache, wirksame und kostengünstige Lösung, um Mietende zu schützen, Spekulation zu bekämpfen und bezahlbaren Wohnraum zu erhalten.

Im Grunde sollte das Recht auf Wohnen die Mietenden schützen. Tatsächlich kennt das geltende Mietrecht ein System der Mietüberwachung, dieses ist aber unzureichend. Wer heute einen Mietvertrag mit einer überhöhten Miete abschliesst und diese nicht innerhalb von dreissig Tagen anficht, hat später keine Möglichkeit mehr, eine namhafte Senkung zu erhalten. Die aktuellen Möglichkeiten, einen Anfangsmietzins anzufechten oder gegen eine Mieterhöhung vorzugehen, müssen deshalb ergänzt werden.

Immer noch gute Erfolgschancen

Für viele Mietende ist es eine zu hohe Hürde eine überhöhte Anfangsmiete oder einen Mietzinsaufschlag anfechten und vor Gericht gehen zu müssen. Dabei stünden die Erfolgschancen gut: Auch nachdem das Bundesgericht letzten Herbst die maximale Rendite für die Vermieterschaft auf 3,25 Prozent erhöht hat, führt eine Anfechtung des Anfangsmietzinses in vielen Fällen zu einer Mietsenkung. Im Fall vom Oktober 2020, der zu der genannten Änderung der Rechtsprechung des Bundesgerichts führte, wurde der Mietzins für eine 4,5-Zimmer-Wohnung mit einer Fläche von 101 m2 von 2190 auf 1390 Franken reduziert. Die Statistiken der Schlichtungsstellen zeigen, dass leider nur sehr wenige Mietende von ihrem Recht Gebrauch machen, einen überhöhten Mietzins anzufechten. Der Schutz vor unangemessenen Mieten, wie er aktuell durch das Mietrecht gewährt wird, ist nur toter Buchstabe. Wir müssen daher zum Schutz vor überhöhten Mieten nicht nur das Prinzip der Kostenmiete und die Begrenzung der Rendite verteidigen, sondern auch ein wirksameres System der Mietkontrolle fordern. Dies kann durch eine periodische Kontrolle geschehen, wie sie die Nationalrätin Jacqueline Badran und Ständerat Carlo Sommaruga in einer parlamentarischen Initiative vorschlagen (siehe Text unten), oder durch ein administratives Kontrollsystem für Mieterhöhungen. Letzteres existierte im 20. Jahrhundert in der ganzen Schweiz während mehrerer Jahrzehnte, und es existiert aktuell für Mieterhöhungen nach Bauarbeiten in mehreren Kantonen (Genf, Waadt, Basel-Stadt).

Vorstoss will Überprüfung von Renditen

Das Schweizer Mietrecht erlaubt mit der «Kostenmiete plus» für Vermieter*innen eine Rendite, welche den geltenden hypothekarischen Referenzzinssatz um einen geringen Prozentsatz übersteigen darf. Lange Zeit setzte das Bundesgericht diesen auf 0,5 fest (auf Bauten, die nicht älter als 30 Jahre sind). Letzten Herbst verkündete es in einem Leiturteil, künftig Renditen zuzulassen, die den Referenzzins um bis zu 2 Prozent übersteigen, solange dieser nicht über 2 Prozent steigt. In Wirklichkeit liegen viele Renditen heute weit über der «Kostenmiete plus», zum Teil gar im zweistelligen Bereich. Gegen diesen gesetzeswidrigen Zustand wendet sich eine von Jacqueline Badran (SP/ZH) und Carlo Sommaruga (SP/GE) im National- bzw. Ständerat eingereichte parlamentarische Initiative. Zur Überprüfung der Renditen soll eine periodische Revisionspflicht für Vermietende, die mehrere Wohnungen vermieten, eingeführt werden. Das Konzept der periodischen Revisionspflicht wird bereits heute bei der AHV und der Mehrwertsteuer praktiziert.

Die Genfer Mietzinskontrolle

Die Mietzinskontrolle wird in Immobilienkreisen gerne als bürokratisches Monster dargestellt, der Fall Genf beweist jedoch, dass das Gegenteil zutrifft. Die Kontrolle der Mieten wurde in Genf 1983 nach Annahme des von der SP initiierten Gesetzes «über den Abbruch, die Umwandlung und die Renovierung von Wohnungen» (LDTR) eingeführt. Das LDTR soll es Mietenden ermöglichen, nach Renovierungsarbeiten zu erschwinglichen Bedingungen in ihren Wohnungen zu bleiben. Konkret muss die Vermieterschaft zusammen mit dem Antrag auf eine Baugenehmigung ein Formular bei der Verwaltung einreichen, damit diese die nach der Renovierung zulässigen Mieten berechnen kann. Die Berechnung stützt sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Mietzinserhöhungen aufgrund von wertvermehrenden Investitionen. Anstelle des Gerichts prüft aber die Verwaltung die Zulässigkeit der Erhöhung. Die Kontrolle erfolgt also automatisch. Sie wird für sämtliche Mietenden einer Liegenschaft durchgeführt und nicht nur für diejenigen, die die Mittel und die Energie haben, gegen ihre Vermieterschaft zu klagen.
Zusätzlich zur Kontrolle gibt es eine zeitlich beschränkte Obergrenze für die Mieten auf einem bezahlbaren Niveau, sodass die Wohnungen auch nach der Renovierung erschwinglich bleiben. Der Höchstbetrag liegt bei 3405 Franken pro Zimmer und Jahr (die Küche zählt als Zimmer, Heizung und Warmwasser sind im Betrag nicht enthalten), je nach Umfang der Arbeiten auf drei, fünf oder zehn Jahre befristet. Mieten, die bereits vor dem Umbau über dieser Grenze lagen, werden für die Dauer der Kontrolle nicht gesenkt; dies gilt allerdings nicht für Mieten von mehr als 8512 Franken pro Zimmer und Jahr.

Geringer Aufwand, tiefe Kosten

Entgegen der Kritik aus Immobilienkreisen hat die Mietpreiskontrolle kaum Auswirkungen auf die Dauer des Bewilligungsverfahrens. Gewöhnlich kann dieses in weniger als 30 Tagen abgeschlossen werden. Und auch der Verwaltungsaufwand für die Vermieterschaft hält sich in Grenzen. Sie muss lediglich ein digitales Formular mit der Liste und den Kosten der ausgeführten Arbeiten ausfüllen. Im Prinzip benötigt die Verwaltung für die Kontrolle drei bis fünf Arbeitsstunden pro Bewilligung, sofern die Vermieterschaft kooperiert und sich an das Gesetz hält. Erfüllt ein Antrag die Anforderungen nicht, muss er weiter überprüft werden.
Im Jahr 2019 wurden in Genf 71 LDTR-Genehmigungen für 282 Wohnungen erteilt (eine Bewilligung betrifft oft mehrere Wohnungen). Davon entsprach die Hälfte den Anforderungen, 39 % erforderten Folgemassnahmen und Mahnungen (im Umfang von je etwa 15 Arbeitsstunden) und nur 10 % führten zu einem Verwaltungsverfahren. Insgesamt wurden 952 Arbeitsstunden für Kontrollen aufgewendet. Das entspricht nicht einmal einer halben Stelle in der Verwaltung.
Diese Zahlen aus der Verwaltung veranschaulichen das Ausmass missbräuchlicher Mietzinserhöhungen nach Renovationen. Sie zeigen aber auch, dass solche Missbräuche ohne grossen Aufwand für die Mietenden und mit sehr geringen Kosten für den Staat bekämpft werden können. Kein Vergleich mit den Dutzenden von Arbeitsstunden, die anfallen, wenn die Mietenden gezwungen sind, den Rechtsweg zu beschreiten: Oft werden zwei Anwält*innen oder Rechtsexpert*innen beschäftigt, die von bis zu drei Richter*innen angehört werden, die wiederum von Gerichtsangestellten unterstützt werden und so weiter.

Mittel gegen Rendite-Kündigungen

Die Mietzinskontrolle bringt weitere Vorteile: Rendite-Kündigungen, wie sie heute vor allem in der Deutschschweiz weit verbreitet sind, könnten verhindert werden. Denn eine Vermieterschaft hat kein Interesse an einem Wechsel der Mieterschaft mehr, wenn sie ihre Wohnungen nach der Sanierung dadurch nicht zu einem höheren Preis weitervermieten darf. Sie wird es vorziehen, die Mietenden während der Bauarbeiten zu behalten, um einen Mietausfall zu vermeiden. Weiter profitieren von der Mietzinsobergrenze, die je nach Umfang der Bauarbeiten während drei, fünf oder zehn Jahren gilt, nicht nur die aktuellen Mietenden, sondern auch solche, die erst später in die Liegenschaft einziehen. Schliesslich widerlegt die grosse Zahl der erteilten Genehmigungen den Mythos, eine Mietzinskontrolle führe zu einem Renovationsstopp. Sanierungen bleiben bei der aktuellen Wirtschaftslage in der Tat rentabel. Die Mietzinskontrolle, wie sie in Genf praktiziert wird, ist eine einfache, wirksame und kostengünstige Lösung, um die Mietenden zu schützen, Spekulation zu bekämpfen und um bezahlbaren Wohnraum in der Stadt zu erhalten.

Text: Christian Dandrès, Nationalrat (SP/GE) und Vorstandsmitglied des MV Schweiz