Das eidgenössische Parlament diskutiert aktuell die Revision der Zivilprozessordnung. Für die Mietenden steht einiges auf dem Spiel.
Unser Mietrecht hat eine grosse Schwäche: Die Mietenden sind selber dafür verantwortlich, ihre Rechte einzufordern. Es liegt an ihnen, vor Gericht zu gehen und eine Kündigung oder eine missbräuchliche Miete anzufechten oder eine Entschädigung für Mängel in der Wohnung zu fordern. Eine kleine Ausnahme bilden mancherorts Mieterhöhungen nach Renovierungsarbeiten oder energetischen Sanierungen: In den Kantonen Genf, Waadt, Neuenburg und seit kurzem auch Basel-Stadt werden die Mieten nach Sanierungen automatisch kontrolliert, und in manchen Fällen wird eine Obergrenze festgelegt.
Entscheiden sich die Mietenden, vor Gericht zu gehen, müssen sie bestimmte Verfahrensregeln einhalten. Lange waren diese Regeln kantonal unterschiedlich, bis sie 2011 schweizweit vereinheitlicht und in der Zivilprozessordnung des Bundes (ZPO) festgehalten wurden. Bereits bei der Einführung der ZPO wehte den Mietenden ein rauer Wind entgegen, die Immobilienkreise versuchten aktiv, im Parlament Einfluss zu nehmen. Sie wollten etwa den Mietenden das Recht absprechen, sich mithilfe des Mieterinnen- und Mieterverbands vor Gericht zu verteidigen, den Kantonen wollten sie verbieten, kostenlose Verfahren einzuführen respektive diese beizubehalten.
Aktuelle Revision
Zehn Jahre nach Einführung der ZPO fällt die Bilanz schlecht aus – nicht nur aus Sicht der Mieter*innen: Der Zugang zum Recht ist schwierig und kostspielig. Diese Feststellung teilt auch der Bundesrat. Im Februar 2020 veröffentlichte er deshalb einen Revisionsentwurf für die Zivilprozessordnung, zurzeit diskutiert das Parlament diesen. Gegenüber dem Vorprojekt des Bundesrats ist dieser allerdings um einiges abgeschwächt. Ganz offensichtlich hat die Regierung dem Druck der Wirtschaftslobby nachgegeben. Der Mieterinnen- und Mieterverband ist in der parlamentarischen Debatte wie bereits in den zuständigen Kommissionen durch die ihm nahestehenden Parlamentsmitglieder präsent. Sie schlagen mehrere Änderungen vor, die den Mietenden die Wahrnehmung ihrer Rechte erleichtern sollen.
Einfachere und menschlichere Verfahren
Zunächst einmal soll die Regel abgeschafft werden, wonach Mietende, die eine Mieterhöhung oder eine Kündigung anfechten, hart bestraft werden, wenn sie weder zur ersten Schlichtungsverhandlung erscheinen noch sich vertreten lassen. Das geltende Recht sieht vor, dass das Gericht in einem solchen Fall das Verfahren einstellt. Die Mietenden verlieren dadurch ihre Rechte und schlimmstenfalls ihre Wohnung oder müssen die Mietzinserhöhung tragen, die sie eigentlich anfechten wollten. Weiter geht es darum, alle mietrechtlichen Streitigkeiten einem einfachen Verfahren zu unterwerfen. Ziel dieser Forderung ist es, die Kosten für die Mietenden möglichst tief zu halten. Gewöhnlich gilt: Je komplexer die Vorschriften sind, desto grösser ist der Aufwand und desto teurer wird es für die Mietenden. Sie können sich nicht selber verteidigen, sondern müssen eine juristische Fachperson beiziehen und diese auch entschädigen. Schliesslich ist das aktuell für Zwangsräumungen geltende Verfahren viel zu vermieter*innenfreundlich. Es ermöglicht, in einer einzigen Anhörung und ohne obligatorische Schlichtung einen Entscheid über das Schicksal der Wohnung zu fällen. In Verbindung mit dem fehlenden Schutz für Mietende bei Zahlungsausfällen ermöglicht dieses System der Vermieterschaft, eine Wohnung innerhalb weniger Wochen räumen zu lassen, selbst wenn die Mietenden keine alternative Unterkunft haben. Von diesem unmenschlichen System sind heute nicht wenige Mietende bedroht.
Auseinandersetzungen programmiert
Auch in dieser erneuten parlamentarischen Auseinandersetzung um die Zivilprozessordnung sehen wir uns mit den Vertretern der Immobilienbranche konfrontiert, die jeden Fortschritt zum Schutz der Mietenden abblocken. Ihre Präsenz ist massiv. Der «Mitte»-Fraktionschef Philippe Bregy (ehemals CVP) etwa sitzt im Vorstand des Hauseigentümerverbands (HEV), der Beinahe-FDP-Fraktionschef Olivier Feller ist Sekretär der «Fédération romande immobilière», um nur zwei Beispiele zu nennen.
Text: Christian Dandrès