Ein Angriff auf Wohnformen mit Zukunft

Mit 108 Ja zu 83 Nein stimmte der Nationalrat in der Frühlingssession einer Aufweichung des Kündigungsschutzes bei der Untermiete zu.

Die rechte Mehrheit im Nationalrat beklagt Missbräuche bei der Untermiete und will das Gesetz anpassen. Stimmt auch der Ständerat zu, können Mietende künftig wegen Bagatellen die Wohnung verlieren. Die vorgesehenen Gesetzesänderungen sind aber auch ein Angriff auf nach­haltige, zeitgemässe und innovative Wohnformen.

Erst kürzlich fand an der ETH Zürich eine Tagung zum Thema «Generationen­wohnen» statt. Es ging dabei auch um gesellschaftliche und ökologische Her­ausforderungen der Gegenwart. Eine zen­trale Frage war, wie ein gutes Miteinander vonseiten der Wohnbauträger gefördert werden kann. Zum Beispiel: Was gibt es angesichts der Tatsache, dass Menschen älter werden und nicht unbedingt Ange­hörige in der näheren Umgebung haben, für architektonische Lösungen und Wohnformen, die die sozialen Kontakte begünstigen? Die ein lebendiges Miteinander im Haus, in der Siedlung, dem Quartier und über Generationen hinweg ermöglichen? In diesem Zusammenhang ging es selbstverständlich auch um Wohn- und Hausgemeinschaften. Sie dürften in Zukunft an Bedeutung gewinnen.

Rauswurf wegen Bagatelle

Für das Teilen einer Wohnung oder eines Hauses gibt es den Untermietvertrag. Er ermöglicht sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Wohn­formen. Doch das soll sich nun ändern. Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat ist Anfang März der Immobilienlobby in der Kommission für Rechtsfragen gefolgt und hat schwerwiegende recht­liche Verschlechterungen bei der Untermiete beschlossen: Erstens müssen Vermieter*innen künftig in jedem Fall ihre schriftliche Zustimmung zu einer Untervermietung geben, sonst ist sie nicht erlaubt. Zweitens kann die Unter­miete auf zwei Jahre befristet werden. Und drittens soll Mieter*innen, die es versäumen, vorgängig schriftlich die Un­termiete zu beantragen oder über Ände­rungen zu informieren, ausserordentlich gekündigt werden können. Mit einer Frist von nur 30 Tagen nach Mahnung.

Viel Glück allen, die in Schweizer Städten und Vororten innert weniger Wo­chen eine andere bezahlbare Wohnung finden müssen.

Ein realistisches Szenario unter dem neuen Regime (falls der Ständerat dem Nationalrat folgt) sieht so aus: Eine Luzerner Familie lebt seit Jahren in einer Mietwohnung. Das älteste Kind ist ausgezogen, in das frei gewordene Zimmer zieht die Tochter einer Bekannten ein, die gerade anfängt, an der Hochschule Luzern zu studieren. Die Familie regelt mit ihrer Untermieterin das Wohnverhältnis via Untermietvertrag und in­formiert zeitnah den Vermieter.

– Ups! Sie hätten ihn vorgängig zwin­gend um Erlaubnis bitten müssen, neuer­dings schriftlich. Und dieser hätte mit dem neuen Gesetz diverse und gesetzlich nicht abschliessend definierte Gründe geltend machen können, weshalb er die Untermiete nicht erlauben will. Wissen die Mietenden nicht um diese neue, streng geregelte Pflicht oder nehmen sie es mit dem Melden nicht so genau – man hat ja schliesslich nichts Unredliches im Sinn und Zusammenwohnen ist etwas vom Privatesten, das es gibt –, kann das böse Folgen haben: Die Familie kann mitsamt Untermieter*in nach einer Mah­nung mit einer Frist von nur dreissig Tagen aus der Wohnung geworfen werden. Es ist nicht auszuschliessen, dass Vermieter*innen, die mit ihren Wohnliegenschaften mehr Profit erzielen wollen, auf genau solche Gelegenheiten warten werden, um die Wohnungen neu und deutlich teurer weiterzuvermieten.

Die schärfste Waffe, die das Mietrecht kennt

Die ausserordentliche Kündigung ist die schärfste Waffe, die das Mietrecht kennt, sie darf etwa dann angewendet werden, wenn ein*e Mieter*in den Miet­zins nicht bezahlt. Neu sollen Mieter*innen, die seit Jahren immer pünkt­lich ihren Zins zahlen, diese brutale Konsequenz wegen einer Bagatelle zu spüren bekommen. Der Leiter der Hot­line des Mieterinnen- und Mieterver­bandes, Fabian Gloor, bestätigt: «Eine kleine Vertragsverletzung soll künftig schwerwiegende Folgen haben.» Für ihn ist klar, dass es mit dieser Schraubendrehung darum geht, den Schutz der Mieter*innen weiter zu schwächen. Man müsse diesen Vorstoss auch im Kontext der anderen Angriffe auf das Mietrecht sehen, sagt der Jurist: «Kommen sie durch, wird das verheerende Folgen haben.»

Gegen die Interessen älterer Menschen

Die Immolobby ist in der nationalrät­lichen Kommission für Rechtsfragen unter anderem durch die Basler Präsi­dentin des Hauseigentümerverbandes (HEV), Patricia von Falkenstein, vertreten. Sie ist auch Stiftungsrätin von Pro Senec­tute beider Basel. Als solche vertritt sie die Interessen älterer Menschen. Tut sie das? Die Wohnungsnot hat zur Folge, dass es nicht gerne gesehen wird, wenn Mieter*innen nach dem Auszug der Kinder oder dem Tod des Partners in ihren bisherigen Wohnungen bleiben. Sie könnten doch Familien Platz machen, heisst es oft. Tatsächlich bleiben viele, weil selbst kleinere Wohnungen für sie nicht bezahlbar sind (was ganz im Sinn des HEV ist, der für seine Mitglieder eine Politik des maximalen Profits auf Kosten der Mieter*innen verfolgt). Immerhin bleibt noch die Möglichkeit, ein Zimmer an eine Person unterzuvermieten. Da­durch sinken für alle Beteiligten die Wohnkosten (Stichwort «ökonomische Nachhaltigkeit»), es gibt die Möglichkeit von Austausch und gegenseitiger Unter­stützung («soziale Nachhaltigkeit») und der Flächenverbrauch wird reduziert («ökologische Nachhaltigkeit»). Die Ge­setzesänderungen werden nun aber, falls der Ständerat mitzieht, jüngeren wie älteren Menschen diese sinnvolle Art des Wohnens erschweren. Betroffen ist auch das «Wohnen gegen Hilfe». Die Medien­sprecherin des Bundesamtes für Woh­nungswesen (BWO) Eva van Beek erklärt, was damit gemeint ist: «Eine Mieterin wird im Alltag von einer anderen Person, beispielsweise einem Studenten, unter­stützt. Im Gegenzug hat dieser ein Zimmer in der Wohnung beziehungs­weise im Haus und muss dafür weniger Untermiete bezahlen.»

Patricia von Falkenstein rechtfertigt die vorgesehenen Schikanen bei der Untermiete. Es gehe «hauptsächlich darum, dass jemand nicht mehr mehrere Wohnungen mietet, diese untervermietet und als Einnahmequelle missbraucht.» Auf die Frage, weshalb man dann nicht zwischen der Untervermietung ganzer Wohnungen und nur einzelner Zimmer unterscheide, gibt sie ziemlich deutlich zu erkennen, wie sie über Mieter*innen denkt: Es gebe in der vorliegenden Fas­sung keine Unterscheidung, «damit der Mieter den unrechtmässigen Ertrag nicht noch weiter steigern kann.» Und es dürfe doch nicht sein, dass «Mietobjekte teils raumweise zu haarsträubenden Preisen an mehrere einzelne Untermieter weitervermietet werden können.» Es klingt, als ob so etwas gehäuft vorkäme und Symp­tom einer weit verbreiteten Profitgier unter Mieter*innen sei – aber Zahlen nennt Patricia von Falkenstein keine. Ob man hier von sich auf andere schliesst? Sie versichert lediglich, Wohn­gemeinschaften sollten nicht betroffen sein, das «ist und war auch nie das Ziel». Auch wenn der Vorstoss vom Ständerat angenommen werden sollte, «ist noch lange nicht klar, wie der genaue Wortlaut formuliert sein wird und der zu ändernde Artikel lautet». Es wäre überraschend, wenn diese Aussage nicht die taktisch motivierte Verharmlosung einer ge­wieften Politikerin wäre, die eine Brech­stangen-Vorlage ins Trockene bringen will.

Ziel: Leichter kündigen können

Auch SVP-Bundesrat Guy Parmelin – ihm ist das BWO unterstellt – sprach sich in der Nationalratsdebatte gegen die gesetzlichen Anpassungen bei der Unter­miete aus. Er sieht wegen der neuen «nicht erschöpfenden Aufzählung der Gründe, die den Vermieter berechtigen, seine Zustimmung zur Untervermietung zu verweigern», sogar die Gefahr rechtlicher Unsicherheiten, die es mit dem jetzt geltenden Gesetz nicht gibt. Sein Parteikollege Hans Egloff, Präsident des Hauseigentümerverbandes (HEV), hat den Vorstoss zur Untermiets- Erschwerung 2015 mit dem Argument eingereicht, man wolle damit dem Miss­brauch entgegenwirken. Aber wie von Falkenstein liefert auch der HEV als Verband keine Belege für das angebliche Problem.

Die BWO-Mediensprecherin Eva van Beek erinnert daran, dass die Untermiete 1990 mit einem Liberalisierungsziel in Kraft gesetzt wurde: «Der Gesetzgeber wollte mit der Vorschrift dem Verbot der Untermiete begegnen, welches in einem grossen Teil der standardisierten Mietver­träge über Wohnungen enthalten war.» Die Untervermietung sei gemäss der Auf­fassung des Bundesgerichts grundsätzlich für Mietende gedacht, die das gemietete Objekt vorübergehend nicht nutzen können: «Sie überlassen die Räumlich­keiten für die Zeit ihrer Abwesenheit aus finanziellen Motiven einer Drittperson.» Des Weiteren könne eine Untermiete eben auch «im Falle eines Wegzugs oder nach dem Tod von Familienangehörigen erfolgen, wenn die Wohnung zu gross wird». Überhaupt sei der Abschluss von Untermietverträgen eine «Möglichkeit, um nachhaltige Wohnformen zu reali­sieren», sagt van Beek und präzisiert: «Unter dem jetzt noch geltenden Recht.» Unter dem neuen, so wie es jetzt formuliert ist, wäre das nicht mehr so.

Für Nationalrätin Florence Brenzi­kofer (Grüne) ist klar: «Es geht einzig darum, leichter kündigen zu können.» Bundesrat Parmelins Worte lassen aus­serdem befürchten, dass die Gesetzesänderungen den Missbrauch nicht bekämpfen, sondern fördern werden – zuungunsten der Mieter*innen.

Gegen gemeinschaftliche Wohnformen

Betroffen sind allen voran Wohnge­meinschaften, und da denkt man ja zunächst mal an Studierende. Also Anruf bei Patrik Suter, Geschäftsführer des Jugendwohnnetzes JUWO in Zürich. Das JUWO stellt Wohnraum für 3500 junge Menschen in Ausbildung zur Verfügung. Dafür mietet es Wohnungen an und ver­mietet diese an WGs weiter. Was hält er von den drohenden Verschärfungen? Suter sagt: «Der Grossteil unserer 1400 Untermietverträge ist unbefristet oder hat eine Laufzeit von mehr als zwei Jahren. Eine Beschränkung auf zwei Jahre würde nicht mal die Dauer eines üblichen Studiengangs abdecken.» Sein Fazit: «Eine zeitliche Beschränkung halte ich für nicht zielführend und sie wäre für das JUWO existenzbedrohend.»

Auch Lorenz Bertsch von Caritas St. Gallen und Appenzell sieht in den Plänen der Immobilienlobby grosse Nachteile für breite Teile der Bevölke­rung. Er leitet den Fachbereich Sozialpolitik und erzählt: «Ich sehe viele Allein­stehende, die in Berufen mit tiefen Löhnen arbeiten und sich eine Wohnung teilen, weil sie sich sonst keine leisten können. Und dann sind da auch die ge­trennten Paare mit Kindern. Sie sind mit der Situation konfrontiert, dass sie nach dem Bruch deutlich höhere Wohnkosten haben, weil sie nun zwei Wohnungen brauchen. Können sie eine Untermieterin in die zu gross gewordene ehemalige Familienwohnung nehmen oder in beide Wohnungen einen Mitbewohner, ent­lastet das das Budget erheblich.»

Nicht zuletzt würde die neue Geset­zesbestimmung gemäss Guy Parmelin auch Wohnformen und Projekte er­schweren, die der Bund unterstützt.

Gegen Innovation im Wohnbereich

Dank der Untermiete konnten in den letzten Jahrzehnten vielfältige neue Wohnformen erprobt werden. Dabei geht es nicht alleine darum, sich eine Woh­nung überhaupt leisten zu können – es geht auch um Wohn- und überhaupt Le­bensqualität etwa durch gemeinschafts­orientiertes Wohnen, um verschiedene Formen von Alternativen zum Modell der konventionellen Kleinfamilie. Immer mehr versteht man auch, dass sich (fami­liäre) Konstellationen verändern und es Räume braucht, die diese Veränderungen ermöglichen, die selber veränderbar sind. Am ETH-Wohnforum wird schon länger zu Impulsen und Innovationen im Woh­nungsbau geforscht. Eine der Exper­tinnen ist die Sozialanthropologin Angela Birrer. Sie sagt: «Mit der Beschränkung der Untermiete würden bisherige und zukünftige Innovationen im gemein­schaftlichen Wohnen gehemmt und das Ziel eines geringeren Wohnflächenverbrauchs massgeblich erschwert.» Es würde noch schwieriger werden, be­zahlbaren Wohnraum zu finden oder zu halten. Auch was die Anpassbarkeit von Wohnräumen betrifft, werde es Rück­schritte geben. Ihr Fazit: «Grundrisse können noch so flexibel nutzbar sein – wenn am Schluss der rechtliche Rahmen keine flexible Nutzung zulässt, können sie auch nicht veränderten Lebenssituationen und Wohnbedürfnissen gerecht werden.»

Die nächste Tagung der ETH zum Wohnen findet erst wieder in einem Jahr statt. Es ist zu hoffen, dass das Thema dann nicht «Wohnzukünfte: Neustart ab Feld 1» wird lauten müssen.

PS bzw. No-Fun-Fact: In ihrer Rolle als Präsidentin des Verbandes Wohnbauge­nossenschaften Schweiz sprach auch SP-Ständerätin Eva Herzog an der kürzlichen ETH-Tagung zum Generationen­wohnen und plädierte für den Ausbau solcher gemeinschaftlicher Wohnformen. Womöglich hat sie inzwischen vergessen, dass sie sich vor zwei Jahren in der Vernehmlassung für die Untermietsverschlechterungen aussprach. Sie schrieb damals: «Neu wird in Abs. 4 Bst. d eine vorgesehene Untermietdauer von mehr als zwei Jahren als Grund für die Verweigerung der Zustimmung definiert. Wohnbaugenossenschaften Schweiz begrüsst diese Regelung. Eine klare Rege­lung und zeitliche Begrenzung der Unter­miete ist im Interesse unserer Mitglie­der.» Erstaunlich.

Autorin: Esther Banz