Seit Mai ist MV-Generalsekretärin Natalie Imboden im Nationalrat. M+W hat mit ihr über ihre neue Rolle und die drängendsten Probleme der Mietenden gesprochen.
Natalie, im Mai wurdest du als Nationalrätin vereidigt. Wie ist es, wenn man das Parlament jahrelang von aussen beobachtet hat und dann plötzlich selber drinsitzt?
Natalie Imboden: Ich war ja schon vorher öfters als Lobbyistin des Mieterinnen- und Mieterverbands hier in der Wandelhalle. Jetzt habe ich aber eine andere Rolle, ich kann mitgestalten und abstimmen. Eine Art Lobbyistin bleibe ich auch als Nationalrätin. Für mich ist da nichts Negatives dran – solange es transparent ist: Man will politisch Einfluss nehmen und setzt sich für bestimmte Anliegen ein.
Hattest du denn schon mit wohnpolitischen Geschäften zu tun, seit du im Bundesparlament bist?
Ja, lustigerweise gleich an meinem ersten Tag. Behandelt wurde die Zivilprozessordnung, bei der es unter anderem um die Stellung der Mietenden in Prozessen ging. Wir hatten als Verband im Vorfeld der Debatte einen Brief an die Mitglieder des Nationalrats geschrieben.
Das heisst, du hast dir selber einen Brief geschrieben …
Ja, sozusagen (lacht).
Du bist nicht in der Rechtskommission, die für die meisten Geschäfte zuständig ist, die die Mietenden betreffen. Wirst du dich trotzdem weiterhin um Wohnpolitik kümmern?
Ja, sicher. Die Anliegen der Mietenden sind in meiner politischen DNA festgelegt. Daher werde ich mich für mehr bezahlbare Wohnungen und faire Mieten einsetzen. Ich bleibe auch weiterhin im Verband aktiv, so im Vorstand des MV Kanton Bern.
Das Parlament ist nicht gerade mieter*innenfreundlich …
Nein, ich beobachte eine gewisse Verhärtung. Auch bei noch so kleinen Dingen gelingen kaum Fortschritte. Der Verband muss deshalb weiterhin auch andere politische Instrumente anwenden, Referenden etwa, und von aussen Druck machen. So sind wir vor Kurzem mit der Forderung an den Bundesrat gelangt, Geringverdienende, die unter den hohen Gas- und Erdölkosten leiden, mit einer Energiezulage zu unterstützen. Und, auch dringlich: Die ungerechtfertigte Umverteilung von den Mietenden zu den profitorientierten Immobilienbesitzern muss gestoppt werden. Gleichzeitig braucht es Druck in den Kantonen, damit die Anliegen der Mietenden umgesetzt werden.
Was motiviert dich, dich trotz Polarisierung im Parlament für die Mietenden einzusetzen?
Gerade weil das Parlament in diesen Fragen so polarisiert ist, ist es wichtig, dass die Stimme der Mietenden eingebracht wird. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung sind Mietende – die Mehrheit des Parlaments dagegen ziemlich sicher nicht. Für sie ist es schwierig nachzuvollziehen, wie es ist, wenn man Angst vor dem Verlust einer Wohnung wegen einer Kündigung hat.
Das Parlament ist seit Längerem mit einer Reihe von Vorstössen beschäftigt, die das Mietrecht aushöhlen wollen. Wo stehen die Geschäfte zurzeit?
Vor mehreren Jahren gab es einen koordinierten Angriff der Immobilienlobby auf das Mietrecht, über verschiedene Parteien hinweg. Von den eingereichten Vorstössen konnten glücklicherweise einige bereits im Parlament gestoppt werden. Übrig geblieben sind sechs, von denen wir vier als problematisch betrachten. Möglicherweise kommt bereits im September ein erstes Doppelpaket durch den Nationalrat, gegen das der MV das Referendum ergreifen wird.
Worum geht es inhaltlich?
Der eine Vorstoss will die Rechte der Mietenden bei der Untermiete verschlechtern, der andere Kündigungen bei Eigenbedarf für die Eigentümer*innen vereinfachen. Beides verschlechtert die Position der Mietenden, die schon heute schwach ist.
Das Parlament hat die Vorstösse getrennt behandelt, obwohl alle das Mietrecht betreffen. Was bedeutet diese Salamitaktik für die Arbeit des MV?
Dass wir uns mehrmals wehren müssen. Der MV hat sich in der Vergangenheit immer gegen substanzielle Verschlechterungen des Mietrechts gewehrt und immer Recht bekommen. Wir haben eine Vetomacht. Das ist aber auch bekannt, und nun will man es uns besonders schwer machen, indem man uns zwingt, diese Vetomacht mehrmals in Anspruch zu nehmen.
Worum geht es beim zweiten Paket?
Um die Höhe der Mieten. Die Schweiz kennt keinen freien Mietmarkt, sondern das Mietrecht regelt, wie hoch die Mieten sein dürfen – auch wenn diese Regeln heute nicht durchgesetzt werden. Mit den Vorstössen im zweiten Paket sollen einerseits mehr Marktelemente ins Mietrecht hineingebracht werden, anderseits soll es für die Mietenden schwieriger werden, sich gegen zu hohe Mieten zu wehren. Es ist zu befürchten, dass die Mieten dadurch noch mehr ansteigen würden.
Worum geht es beim zweiten Paket?
Um die Höhe der Mieten. Die Schweiz kennt keinen freien Mietmarkt, sondern das Mietrecht regelt, wie hoch die Mieten sein dürfen – auch wenn diese Regeln heute nicht durchgesetzt werden. Mit den Vorstössen im zweiten Paket sollen einerseits mehr Marktelemente ins Mietrecht hineingebracht werden, anderseits soll es für die Mietenden schwieriger werden, sich gegen zu hohe Mieten zu wehren. Es ist zu befürchten, dass die Mieten dadurch noch mehr ansteigen würden.
Welches Ziel verfolgt die Immobilienlobby mit ihrem Angriff auf das Mietrecht?
Die Erhöhung der Renditen. Der Immobilienmarkt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Früher gehörten die meisten Häuser Privaten, denen der soziale Ausgleich im Land wichtig war. Seit einer Weile aber steigt der Anteil von institutionellen Eigentümern, die nur noch an der Rendite interessiert sind. Und wie macht man Rendite? Indem man die Mieten erhöht und die Rechte der Mietenden einschränkt, sich dagegen zu wehren.
Wie müsste man aus deiner Sicht das Mietrecht verändern?
Die Stellung der Mietenden muss gestärkt werden. Wir müssen endlich das Bewusstsein dafür entwickeln, dass sie in diesem Land in der Mehrheit sind, und ihre Rechte und ihren Schutz verbessern. Heute muss ich mich als Mieterin selber wehren, wenn mein Vermieter bei einer Senkung des Referenzzinssatzes den Mietzins nicht senkt, obschon er dazu verpflichtet wäre. Es muss Aufgabe des Staats sein, ausgleichend zu wirken und die Mieten zu kontrollieren.
Wie kommt eine solche Kontrolle ins Mietrecht?
Es gibt einen Vorstoss im Parlament, der eine regelmässige Revision fordert, wie sie bei der AHV und neuerdings auch im Gleichstellungsgesetz existiert. Ein Dritter wird dabei beauftragt, die Löhne oder eben die Mieten zu kontrollieren. Man könnte aber auch die Gemeinden damit beauftragen. Basel-Stadt etwa kontrolliert seit Kurzem, dass die Mieten nach Sanierungen nicht zu stark erhöht werden. Im Föderalismus ist es oft so, dass etwas zuerst in den Gemeinden und Kantonen entsteht und sich dann auf nationaler Ebene durchsetzt. Das hat beim Frauenstimmrecht auch so funktioniert.
Welche Baustellen gibt es sonst noch in der Wohnpolitik?
Aktuell sind zwei Dinge drängend: die Energiefrage und der Krieg in der Ukraine. Letzterer zeigt uns sehr deutlich, wie abhängig wir von den Öl- und Gaspreisen sind. Die Kosten könnten sich verdoppeln, wenn die Preise weiter ansteigen, und die Aufschläge werden über die Nebenkosten 1:1 auf die Mietenden abgewälzt. Wir haben dazu Vorstösse eingereicht und Energiezuschläge für tiefe Einkommen gefordert, der Bundesrat findet jedoch, das sei im Moment nicht nötig. Bei der Energiefrage geht es darum, wie wir die Klimaziele erreichen. Was den Ersatz der Heizsysteme angeht, sind klar die Hauseigentümer*innen in der Pflicht. Im Moment zahlen die Mieterinnen die Zeche für unterlassenen Heizungsersatz und teure, fossile Heizsysteme. Erneuerbare Energien sind meist günstiger für die Mietenden.
Wie kann verhindert werden, dass die Mietenden den Ersatz der Heizung bezahlen müssen?
Der Bund muss die Fördergelder mieter*innenfreundlich ausgestalten. Es darf nur staatliche Unterstützung geben, wenn keine Kündigungen ausgesprochen werden. Denn es kann ja nicht sein, dass eine Hauseigentümerin Subventionen erhält, den Mietenden kündigt und dann die Mieten erhöht. Wir haben hier schon viel Aufklärungsarbeit geleistet, jetzt muss das Ganze gesetzlich verankert werden.
Der MV ist stark in den Sektionen verankert, die nationale Geschäftsstelle ist noch jung, du warst erst die zweite Generalsekretärin. Warum braucht es einen nationalen Verband?
Es braucht beides: starke Sektionen vor Ort und einen starken nationalen Verband. Ein Grund dafür, dass man vor rund zehn Jahren begann, die nationale Ebene zu stärken, waren die zunehmenden Angriffe auf das Mietrecht, das national geregelt ist. Hinzu kommen globale Veränderungen, an die sich der Verband anpassen muss. Die Renditegetriebenheit auf dem Immobilienmarkt hat in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren massiv zugenommen. Es gibt einen Anlagenotstand, Immobilien aber sind Goldgruben – leider. Dieser Entwicklung kann man nur mit einem starken nationalen Verband entgegentreten. Und auch für die klimapolitischen Anliegen brauchen wir letztlich nationale Lösungen.
Der MV Schweiz nimmt als Dachverband selber keine Mitgliederbeiträge ein. Wie finanziert er sich?
Wir sind ein Mitgliederverband, der weder öffentliche Gelder bezieht noch finanzkräftige Geldgeber im Rücken hat wie die Immobilienlobby. Die Sektionen geben pro Mitglied einen Beitrag an den MV Schweiz weiter, mit dem die Arbeit auf nationaler Ebene finanziert wird. Glücklicherweise ist der Verband in den letzten Jahren stetig gewachsen, was überhaupt nicht selbstverständlich ist. Es ist aber auch ein Auftrag an uns, die Interessen unserer Mitglieder auf politischer Ebene zu verteidigen.
Das letzte Projekt des MV war die Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen», über die Anfang 2020 abgestimmt wurde. Wann hat der Verband wieder Kapazitäten frei für ein neues Projekt?
Während die MV-Initiative 2003 nur auf einen Ja-Anteil von 33 Prozent kam, erreichte die Initiative für bezahlbare Wohnungen bereits 43 Prozent Ja. Im Moment sind wir stark mit den drohenden Referenden beschäftigt, aber im Hintergrund laufen die Diskussionen natürlich schon. Wir wollen ja nicht nur Verschlechterungen verhindern, sondern auch Verbesserungen herbeiführen. Neben dem Mietrecht müssen wir die Verhältnisse auf dem Immobilienmarkt politisch zum Thema machen. Die zentrale Frage dabei ist: Wem gehören die Mietwohnungen in diesem Land?
Was wünschst du dem Verband für die Zukunft?
Dass die Mitgliederzahlen weiter steigen und der Verband stärker wird. Und dass die Kantone weiter als Laboratorien funktionieren, von denen alle andern lernen können.