In der Frage der Geschäftsmieten fährt die CVP Slalom. War im Frühjahr eine Mehrheit noch gegen eine schnelle Lösung, stimmte sie im Juni schliesslich zu. Nun scheint es, als ob sie ihre Meinung schon wieder geändert hätte.
An der Sondersession im Mai beschäftigte sich das Parlament mit der Frage, ob Geschäftsmieten für die Zeit des Lockdowns vollumfänglich bezahlt werden müssen. Die Wirtschaftskommissionen beider Räte hatten je eine politische Kompromisslösung ausgearbeitet, um eine Flut von Mietzinsreduktionsgesuchen an die Schlichtungsbehörden zu verhindern. Nur: Sie hatten es versäumt, in beiden Räten einen identischen Antrag zu verabschieden. Und so scheiterte eine schnelle Einigung in dieser Frage am Ende.
Erbärmlich, wie die CVP die Mietenden
als Geiseln nahm.
Der Bundesrat hatte währenddessen alles unternommen, um die Motionen abzuwehren. Tatsächlich war es aber ein Machtkampf innerhalb der CVP, der eine rasche Lösung blockierte. Die Nationalratsmitglieder der Partei weigerten sich, sich von ihren Parteikolleginnen im Ständerat das weitere Vorgehen diktieren zu lassen.
Erbärmlich, wie die CVP die Mietenden als Geiseln nahm, um interne Rechnungen zu begleichen. Während eine Mehrheit in Reichweite lag, klammerte sich die CVP, notabene die Initiatorin der Kompromisslösung, an das Eigentumsrecht und an die SVP, die Vertreterin der Immobilienlobby.
Zwischenzeitliche Mehrheit im Juni
Erst in der ordentlichen Sommersession im Juni verabschiedeten die beiden Räte schliesslich je eine identische Motion, die den Bundesrat auffordert, ein Sondergesetz zur Senkung der Ladenmieten vorzuschlagen. Urheber des Kompromisses, der für die Zeit der Zwangsschliessung eine Mietreduktion von 60 Prozent vorsieht, war mit dem Tessiner Nationalrat Fabio Regazzi wiederum ein Vertreter der CVP. Die vorgesehene Reduktion ist zwar weit entfernt von dem vollständigen Mieterlass, den der Mieterinnen- und Mieterverband als gesetzlich richtig erachtet. Aber sie ist besser als nichts. Die CVP stimmte mit der SP, die die Verteidigung der Gewerbetreibenden anführt, den Grünen und den Grünliberalen, sodass der Antrag eine Mehrheit fand. FDP und SVP dagegen blieben ihren Positionen respektive denjenigen der Immobilienlobby treu und versuchten, das Geschäft zu blockieren.
Nur 31 Prozent mit Lösung
Es sei darauf hingewiesen, dass parallel zur Arbeit des Parlaments die Kantone Genf, Waadt, Neuenburg, Freiburg und Basel-Stadt Pionierarbeit leisteten und kantonale Lösungen vorschlugen. Je nach Fall und dank kantonalen Beiträgen ermöglichten sie Mietreduktionen um bis zu 70 Prozent. Der Grossteil der Gewerbetreibenden profitierte jedoch nicht davon – zum einen, weil die Mehrheit der Kantone keine eigene Regelung vorsieht, zum anderen, weil viele Mietende die gesetzlichen Anforderungen der kantonalen Regelungen nicht erfüllten.
Gemäss einer kürzlich vom Bundesamt für Wohnungswesen BWO in Auftrag gegebenen Studie fanden bis heute nur 31 Prozent der Mietenden mit ihrer Vermieterschaft eine Lösung. Darunter fallen auch solche, bei denen die Lösung lediglich in einer Stundung der Mietzahlung besteht.
Verrät die CVP die Gewerbetreibenden?
Wie üblich arbeitete der Bundesrat nach Annahme der Motionen einen Gesetzesentwurf aus und leitete diesen der Rechtskommission des Nationalrats zur Behandlung weiter. An ihrer Sitzung vom 8. und 9. Oktober weigerte sich diese nun aber mit 14 zu 11 Stimmen, den Entwurf überhaupt zu diskutieren. Während SP, Grüne und Grünliberale den Gewerbetreibenden treu blieben (11 Ja-Stimmen) und auch FDP und SVP an ihrer Anti-Gewerbe-Position festhielten (11 Nein-Stimmen), waren es die drei Vertreter der CVP, die den Ausschlag gaben. Damit nicht genug: Es war ein CVP-Nationalrat, der sich freiwillig bereit erklärte, die Mehrheitsposition in der Sondersession des Nationalrats Ende Oktober zu vertreten.
Dieser Verrat der CVP an den Gewerbetreibenden ist schockierend. Nicht nur ist die CVP die Autorin des politischen Kompromisses und hat sich die Fraktion für eine politische Lösung ausgesprochen. Diese Partei hat sich auch immer wieder zur Stimme der Handwerkerinnen und KMU erklärt. Nach neusten Informationen ist es unwahrscheinlich, dass sie in der Sondersession – die in diesen Tagen stattfindet – geschlossen für das Gesetz stimmt, wie es noch im Juni der Fall war. Mit diesem Vorgehen würde der CVP nicht nur das C von «chrétien» (christlich) abhandenkommen, sondern auch das C von «crédibilité» (Glaubwürdigkeit) und vor allem das C der «commerçants» (Kaufleute). Bleibt zu hoffen, dass sich Letztere bei den nächsten Wahlen daran erinnern. Es sei denn, die CVP besinnt sich im letzten Moment eines Besseren.
