Das gerettete Haus

Angesichts eines drohenden Hausverkaufs zogen Mieter*innen an der Zürcher Idastrasse alle Register, um eine feindliche Übernahme zu verhindern. Eine seltene Erfolgsgeschichte in einem umkämpften Quartier.

Es ist ziemlich ruhig an diesem Nachmittag an der Idastrasse im Zürcher Kreis 3. Die Strasse führt von der viel befahrenen Kalkbreitestrasse direkt zum trendigen Idaplatz, ins Herz von Wiedikon. Es wird gebaut, im Augenwinkel huscht eine Frau mit Kinderwagen durch die nassen Strassen, aus einem Hauseingang trägt ein älterer Herr etwas angestrengt, aber offenbar zufrieden seine Gehhilfe in Richtung Trottoir. Wer die Gertrudstrasse in Richtung Idaplatz überquert, hat links das Restaurant Michelangelo im Blick, rechts führt der Weg Richtung Ämtlerstrasse. Auf dem Idaplatz sind an diesem Dienstagnachmittag kaum Leute, die Stimmung nach dem Regen ist fast schon idyllisch. Doch Ruhe und Idylle trügen: Das Quartier gilt als Epizentrum der Zürcher Gentrifizierung.

Die Aufwertung ist sicht- und spürbar. Vielleicht auch deshalb erblickt man immer wieder kleine Fahnen, die «Wohnraum für alle» fordern, oder Referenzen auf soziale Bewegungen, gegen Frontex, für den feministischen Streik oder die Konzernverantwortungs-Initiative. Inmitten dieser Szenerie hat sich in den vergangenen Monaten kaum bemerkt eine erfolgreiche Geschichte abgespielt. Eine Geschichte, in der für einmal Mieter*innen und eine Genossenschaft – und nicht Immobilienkonzerne oder profitorientierte Investor*innen – auf der Gewinnerseite standen. Es ist die Geschichte von einem geretteten Haus und einer Gruppe unbeugsamer Mieter*innen. Schauplatz ist das Haus an der Idastrasse 50.

Am Anfang stand ein Brief

Das Haus sticht ins Auge. Unten ein kleiner Weinladen. Dann ragt eine schöne Backsteinfassade, auf jedem Geschoss zwei Balkone. Sechs 3-Zimmer-Wohnungen und eine 2-Zimmer-Wohnung im Dachgeschoss beherbergt das Haus. Bezahlbare Wohnungen, die dank einer bewegten Mieterschaft vor dem Ausverkauf gerettet wurden. «Als wir vom bevorstehenden Verkauf erfuhren, entschieden wir uns sofort, dass wir uns gemeinsam und mit allen Mitteln wehren würden», erzählt uns Ursula Egger, Mieterin an der Idastrasse 50. Wir treffen sie im ersten Stock des Hauses. In ihrem Wohnzimmer bietet sie uns einen Kaffee an und beginnt zu erzählen. Ursula Egger wohnt schon lange hier. 2007 zog sie in die Wohnung ein. Eine Katze schlummert in der Ecke, der Hund macht sich bemerkbar. Wir lassen uns im Wohnzimmer nieder, die das Zentrum der Wohnung bildet. Im Schnitt gegen 1500 Franken kosten die Wohnungen im Haus – inklusive Nebenkosten.

Alles begann im Sommer 2022, als die Verwaltung neue Fenster ankündigte. Doch die Fenster kamen nie. Ein Anruf bei der Fensterfirma ergab, dass der Besitzer verstorben war. Es dauerte ein Jahr, bis etwas geschah. In einem Brief kündigte die Privatbank Lienhardt und Partner im Sommer 2023 eine Begehung zwecks Verkaufs an. «Das hat uns empört», sagt Ursula Egger und sieht dabei noch immer verärgert aus. Sie sah ihre eigene Zukunft und die der andern Hausbewohner*innen bedroht, in Zürich findet man nicht so schnell eine neue bezahlbare Wohnung. Bis zur Begehung blieb aber nur wenig Zeit. Die Bewohner*innen beschlossen, sich gemeinsam gegen eine feindliche Übernahme zu wehren. Sie gründeten die IG Idastrasse 50 und rüsteten sich für einen Mietkampf. Sie kontaktierten die Verkaufsabteilung von Lienhardt und Partner und die Erbengemeinschaft des Hauses und platzierten ihren Willen, im Haus zu bleiben. Sie riefen Genossenschaften und vermögende Bekannte an, um sie für einen Hauskauf zu gewinnen. Gleichzeitig vernetzten sie sich mit Initiativen wie dem Mietenplenum und anderen bedrohten Mieter*innen.

Vorbereitet auf Besichtigungen

Das Treppenhaus wurde mit widerständigen Slogans tapeziert, die anständige Käufer*innen und «Kein Rausschmiss» forderten. Wo man hinschaute, hingen Aufrufe für die Grossdemo gegen die Wohnungskrise im November 2023. An den Wohnungstüren hingen selbst gestaltete Plakate: «Wir wollen hier wohnen bleiben», «Für Faire Mieten», «Kein Mietwahnsinn an der Idastrasse 50». Die Botschaft an die Interessent*innen war klar. Ursula Egger schmunzelt, wenn sie sich daran erinnert: «Wir hatten viel Stress, viele Sitzungen, hatten Angst um unsere Situation. Aber die Begehungen, das war ein Vergnügen. Denen wurde schon klar: Profitorientierte Käufer*innen sind hier nicht willkommen.»

Lange Zeit blieb unklar, ob die Bemühungen der Mieter*innen Erfolg haben würden. Alle angefragten Privatpersonen sagten ab. Ebenso die meisten Genossenschaften. Nur die Wogeno und die Stiftung PWG zeigten Interesse. Den Austausch mit diesen beschreibt Ursula Egger als kurz und unkompliziert: «Wir meldeten uns bei ihnen, informierten sie über den drohenden Verkauf. Dann kamen sie für die Begehung vorbei. Mehr Kontakt gab es nicht.»

Doch dann kam der nächste Schock: Der Verkauf sollte im Meistbieterverfahren abgewickelt werden. Damit stieg die Sorge, dass ein Interessent wie der Seefelder Immobilien-Unternehmer Ledermann die Genossenschaften überbieten würde. Die Zeit der Ungewissheit ging in die nächste Runde. «Wir machten denen klar, dass wir willig sind, bis zum Schluss zu kämpfen, durch alle Instanzen zu gehen. Das hielt unsere Hoffnung am Leben», so Egger über die Zeit zwischen der Begehung und dem Verfahren. Es waren bange Monate. Ende Oktober stand das Bietverfahren an, doch es dauerte bis kurz vor Weihnachten, bis die erlösende Nachricht eintraf: ein Brief der Wogeno. Die Genossenschaft hatte sich beim Verkauf durchgesetzt. «Das beste Weihnachtsgeschenk», meint Egger. Man merkt ihr an, dass sie erleichtert ist und der Prozess viele Nerven gekostet hat. Umso grösser ist jetzt die Freude.

Wichtig für Bewohner*innen und Quartier

Ähnlich tönt es bei Reto Mauchle. Mauchle wohnt seit elf Jahren an der Idastrasse 50. Am Anfang stand bei ihm die Hoffnungslosigkeit: «Ich dachte, jetzt ergeht es mir genau so wie vielen anderen, die ich kenne: raus aus der Wohnung und wahrscheinlich auch aus dem Quartier.» Doch dann hätten sie zusammengefunden und sich organisiert: «Dadurch habe ich auch die Menschen besser kennengelernt, die mit mir im Haus wohnen.» Auf die Frage, ob ihr sichtbarer Widerstand der Schlüssel zum Erfolg war, wägt er ab: «Das hat sicher etwas ausgemacht. Es ist wichtig, sich zu organisieren, auch wenn es scheinbar keine Perspektive gibt. Aber es war nur einer von vielen Faktoren, die zu diesem erfreulichen Ergebnis geführt haben.» Dieses sei nicht nur für das Haus, sondern auch für das Quartier wichtig, schiebt er nach. Mauchle kennt viele Beispiele, in denen Mieter*innen am kürzeren Hebel waren und günstiger Wohnraum luxussaniert wurde. Was seit zehn bis zwanzig Jahren im Quartier passiert, sei bedenklich: «Besonders Familien werden vertrieben, insbesondere der Anteil migrantischer Bevölkerung im Quartier hat abgenommen», führt er aus. «Das waren ja in der Umgebung alles mal Arbeiter*innenwohnungen. Deren Anteil nahm stark ab. Statt Quartierläden und Brockis gibt es heute viele eher kleine, schicke Lokale, die teure Dienstleistungen oder Edelprodukte anbieten.» Das merke man schon. Walter Angst vom Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband bestätigt das: «Familien, Niedrigverdiener und Alte verschwinden. An ihrer Stelle kommen reiche Geschäftsleute, aber auch junge Wohngemeinschaften.»

Wogeno: Dem Gründungsmotto treu

Auch die Wogeno ist glücklich: Sie hat direkt neben dem bestehenden Wogeno-Haus an der Idastrasse 48 ein neues Schmuckstück gefunden. «Das stärkt das Quartierleben und das genossenschaftliche Wohnen im Kreis 3», schreibt die Genossenschaft, die ihre Wurzeln in der politischen Bewegung der 80er-Jahre hat. Ihre Gründung war eine Reaktion auf die zunehmend rücksichtslose Immobilienspekulation zu jener Zeit. Getreu ihren Grundsätzen handelte sie vierzig Jahre später nun auch mit dem Hauskauf an der Idastrasse.

Doch die Idastrasse 50 ist ein Ausnahmefall. Die Geschichten von Mieter*innen in der Umgebung, die Ersatzneubauten oder Luxussanierungen weichen mussten, sind zahlreich. Erst kürzlich wurde bekannt, dass beim Lochergut gleich mehrere Häuser abgerissen werden und einem Neubau weichen sollen. Betroffen ist auch die legendäre MeyersBar. An der Zurlindenstrasse, gleich beim Idaplatz, stand ein Haus für 11 Millionen Franken zum Verkauf. Die Mieter*innen dürfen, zumindest vorerst, bleiben, dem Garagisten im Innenhof wurde jedoch nach 20 Jahren gekündigt. In einem Haus direkt am Idaplatz wurde allen Mieter*innen auf Vorrat gekündigt, da laut Vermieter «umfangreiche Renovationen» vorgesehen seien, wie das Onlinemagazin «Tsüri» berichtete. Wie hoch die Mieten nach der Renovation sein werden, ist unklar. Eine ehemalige Bewohnerin des Hauses hat jedoch eine Vorahnung: «Ich vermute, die Wohnungen werden nicht luxuriös, nur die Mieten werden es.» Während der Recherche melden sich weitere Personen. Darunter eine Wohngemeinschaft, die ebenfalls im Quartier um den Idaplatz wohnt. Vor Kurzem erhielt sie die Kündigung – ebenfalls wegen Sanierung. Auch sie wehrte sich, in einigen Wochen steht der Schlichtungstermin an. Gegenüber M+W erzählen die Betroffenen von Nachbarn, die ein ähnliches Schicksal ereilte: «Nach einer kurzen, unnötigen Sanierung wurden deren Wohnungen für über 1000 Franken mehr im Monat vermietet.» Mit dem Gang vor die Schlichtungsbehörde wollen sie verhindern, dass mit ihrer Wohnung dasselbe geschieht, und sich gegen Aufwertung und Verdrängung wehren.

Das Quartier sei hart umkämpft, sagt Walter Angst. Das zeigt sich auch in den Miet- und Verkaufspreisen. Hier werden für den Quadratmeter Boden seit vier Jahren 17 000 bis 25 000 Franken bezahlt. Das ist laut Angst «exorbitant». Die Durchschnittsmiete wiederum liegt bei 1650 Franken und damit leicht unter dem städtischen Durchschnitt. Dabei bestehen beim Bruttomietpreis grosse Unterschiede zwischen gemeinnützigen und nicht-gemeinnützigen Wohnungen: 1088 Franken kostet eine gemeinnützige 3-Zimmer-Wohnung im Kreis 3 im Durchschnitt. Für nicht gemeinnützige Wohnungen liegt der Schnitt bei 1964 Franken, für die teuersten 10 Prozent der Wohnungen werden 3000 Franken bezahlt. Fast ein Drittel der Wohnungen im Quartier – gemäss Zahlen der Stadt 3301 – gehören Privatpersonen. Dort liegt Potenzial und Gefahr zugleich: Gehen diese bei einem Verkauf an gemeinnützige Eigentümer, wird günstiger Wohnraum gesichert oder gar geschaffen. Wenn Private aber vermehrt Profitmaximierung betreiben, sind Kündigungen, Scheinsanierungen oder Verkäufe an Meistbietende die Folge.

Wehrt euch – es lohnt sich!

Darauf angesprochen, was sie anderen Mieter*innen rate, zögert Ursula Egger keine Sekunde: «Leistet Widerstand! Es lohnt sich.» Das bezieht Egger nicht nur auf Aktionen in den eigenen Wänden, sondern sie betont die Wichtigkeit der Vernetzung: «Für uns waren das Mietenplenum und Mieten-Marta bestärkende Anlaufstellen. Dort erhielten wir die Infos, die wir brauchten.» Sie empfehle allen, mit diesen Stellen Kontakt aufzunehmen und in den Mieterinnen- und Mieterverband einzutreten, damit man juristische Deckung habe, wenn es drauf ankomme. Das freut auch Walter Angst – im Wissen darum, dass die Geschichte der Idastrasse 50 eher die Ausnahme ist. «Ich hoffe, es inspiriert weitere Mieter*innen, sich ebenfalls zu wehren, und Genossenschaften, die diese Möglichkeit haben, zum Handeln. Es braucht mehr solche Beispiele.»

Text: Lorenz Naegeli, Recherchekollektiv WAV