Bundesgericht ändert Praxis

Zum zweiten Mal innert kurzer Zeit ändert das Bundesgericht seine Rechtsprechung zu Ungunsten der Mietenden.

Bis vor kurzem galt: Wenn eine Miete bei einem Wechsel der Mieterschaft gegenüber der Vormiete um mehr als 10 Prozent erhöht wird und die Vermieterschaft mit der Orts- und Quartierüblichkeit argumentiert, hat eine Anfechtung gute Erfolgschancen. Die Vermieterschaft musste in diesem Fall anhand von fünf vergleichbaren Objekten aus dem Quartier belegen, dass der erhöhte Mietzins tatsächlich dem entsprach, was im Quartier sonst für vergleichbare Wohnungen bezahlt werden muss. Gelang ihr das nicht, galt die Vermutung, die Erhöhung des Mietzinses sei tatsächlich missbräuchlich. Diese Praxis des Bundesgerichts, an dem sich auch die anderen Gerichte orientierten, ging auf den sogenannten Samichlaus-Entscheid vom Dezember 2012 zurück (BGER 4a_491/2012).
Anfang Juni nun kam das Bundesgericht auf diesen Entscheid zurück und präzisierte ihn anhand eines konkreten Falls.

Beweislast stärker bei Mietenden

Künftig gilt der Verdacht, dass eine Miete bei einem Wechsel zu stark erhöht wurde, nur noch dann als gegeben, wenn die Miete gegenüber der Vormiete um deutlich mehr als 10 Prozent erhöht wurde. Und die Vermieterschaft kann diesen Verdacht bedeutend einfacher entkräften. Sie muss nicht wie bisher fünf vergleichbare Objekte anführen, um zu belegen, dass die Miete orts- und quartierüblich ist. Als Beleg denkbar sind gemäss Bundesgericht
Indizien wie eine inoffizielle Statistik, ein Privatgutachten oder die Tatsache, dass die Vormieterschaft länger ohne Mietzinserhöhung in der Wohnung lebte. Gelingt es der Vermieterschaft so, den Verdacht gegen sie abzuwenden, fällt die Beweislast zurück an die Mieterschaft, welche die Miete als zu hoch beanstandet. Sie muss dann ihrerseits den Beweis erbringen, dass die Mietzinserhöhung tatsächlich missbräuchlich ist. Im Gegensatz zur Vermieterschaft muss die Mieterschaft aber den «strikten Beweis» erbringen. Das heisst, sie muss wie früher die Vermieterschaft anhand von fünf vergleichbaren Objekten im Quartier beweisen, dass die Miete zu hoch ist. Dies ist ein grosser Nachteil für die Mietenden, denn gewöhnlich gilt: Wer die Beweislast hat, hat die Zwei am Rücken. Die Mietenden haben normalerweise keinen Zugang zu den Mietpreisen anderer Wohnungen in der Nachbarschaft. Das macht für sie die Beweisführung nahezu unmöglich, dass die Miete missbräuchlich ist. Die Anfechtung des Anfangsmietzinses wird durch dieses Urteil deshalb stark erschwert.

Trotzdem weiter anfechten

Dies ist innert Kürze bereits der zweite Entscheid des Bundesgerichts zum Nachteil der Mietenden. Bereits letzten Herbst hatte es mit einem Leiturteil für Aufsehen gesorgt, gemäss dem künftig eine höhere Nettorendite für die Vermietenden zulässig ist. Beide Entscheide erleichtern es den Eigentümer*innen, die Mietzinse zu erhöhen.
Damit gehen sie in die komplett falsche Richtung. Fast zeitgleich mit dem Entscheid im Juni nämlich machte das Bundesamt für Statistik den neuen Mietpreisindex publik, der zeigt: Die Mieten sind auch im letzten halben Jahr weiter angestiegen. Dabei müssten sie angesichts der tiefen Zinsen eigentlich sinken.
Die neue Praxis des Bundesgerichts sollte allerdings Mietende nicht davon abhalten, eine Anfangsmiete, die gegenüber derjenigen der Vormietenden stark erhöht wurde, anzufechten. Die Chancen auf eine Reduktion sind in vielen Fällen auch weiterhin intakt, und oft kommt es gar nicht zum Gerichtstermin, weil Vermieter*innen bereits vor der Schlichtungsstelle einsehen, dass sie es übertrieben haben.

Text: Andrea Bauer