Bewegung an der Müllerstrasse 

Foto: Reto Schlatter

In der letzten Ausgabe berichtete M+W in einer Reportage über das Schicksal von Mieter*innen an der Müllerstrasse im Zürcher Kreis 4. Otto Wenk und Mandu dos Santos Pinto, die an der Müllerstrasse 10 wohnen und sich gegen ihre Kündigung wehren, haben inzwischen vor der Schlichtungsbehörde einen Etappensieg errungen. Die Schlichtungsbehörde hat die Kündigungen durch die Eigentümerschaft, das Architekturbüro Kissling und Roth, für ungültig erklärt. «Juristisch haben wir das Maximum erreicht, aber die Unsicherheit bleibt», so Wenk zu M+W. 

Die Eigentümerschaft zeigte sich irritiert darüber, dass die Mieterschaft mit einem Anwalt bei der Schlichtungsverhandlung auftauchte. Der Anwalt der Mieterschaft, Peter Nideröst, war dagegen erstaunt darüber, dass die Eigentümer ohne juristischen Beistand kamen. Das zeuge von der Naivität von Kissling und Roth. Diese hätten die letzten 25 Jahre Kündigungen in diesem Stil vorgenommen, Widerstand erlebten sie offenbar nie. Bis jetzt. «Kissling und Roth hatten 25 Jahre lang Glück», sagt Nideröst mit Bezug auf deren Praxis. «Das Bundesgericht sagt: Eine Kündigung ist dann ungültig, wenn ihr kein aktuelles Kündigungsinteresse zugrunde liegt.» Und das ist bei der Müllerstrasse 10 laut Schlichtungsbehörde der Fall. 

Kissling und Roth sagten gegenüber dem Onlinemagazin «tsri.ch», dass sie alles Mögliche täten, um wie geplant im Jahr 2024 mit dem Bau zu beginnen. Nideröst hält dieses Ziel für «völlig unrealistisch». Selbst wenn die Eigentümer vor dem Mietgericht erfolgreich wären, könnte die Mieterschaft das Urteil weiterziehen. Unter Umständen könnten die Mieter noch fünf Jahre in der Liegenschaft bleiben und Kissling und Roth einen ordentlichen Verlust bescheren. Nideröst schätzt, dass die Eigentümer mit viel Fremdkapital wirtschaften und es entsprechend unklar ist, ob sie mit den aktuellen Mieten die Kosten für die Liegenschaft decken können. «Gut möglich, dass sie zu stark unter Druck geraten und die Liegenschaft verkaufen müssen.» 

Bei Otto Wenk ist die Stimmung derweil ambivalent: «Die Wahrscheinlichkeit, dass das Grundeigentum auch in diesem Fall über die Mieter siegen wird, ist hoch. Mit diesem Bewusstsein leben wir an der Müllerstrasse 10.» Doch Wenks Kampf für das Recht auf Wohnen hat eine breitere Ausstrahlung, das weiss auch er: «Mietpolitisch gesehen ist es ein Sieg. Hoffentlich ermuntert es andere, für ihr Recht zu kämpfen.» 

Autor: Reto Naegeli