«Bei uns schlafen Leute im Auto»

Die Wohnkrise werde in Städten und touristischen Berggebieten zunehmend zu einem sozialen Problem – und mancherorts zu einem wirtschaftlichen, mahnte das Bundesamt für Wohnungswesen an einer Tagung in Luzern.

Es ist das erste Mal, dass die Hochschule Luzern zu einer Tagung zur Wohnkrise einlädt, veranstaltet vom Departement Soziale Arbeit. Über hundert Fachleute aus Sozialarbeit, Wissenschaft und Politik, auch zahlreiche Behördenvertreter*innen folgen der Einladung, die Veranstaltung kommt zur richtigen Zeit. Man will die Problematik von verschiedenen Seiten beleuchten und Beispiele aus der Praxis vorstellen, die zur Linderung der Situation beitragen. Forschende und in der Praxis Tätige stellen Zahlen, systemische Zusammenhänge und Projekte vor. Es gilt an diesem vollgepackten Tag keine Zeit zu verlieren, die Direktorin Dorothee Guggisberg kommt bei ihrer Begrüssung direkt zur Sache: «Gesichert zu wohnen, ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr, hohe Wohnkosten und drohende Kündigung erzeugen Druck und Stress, bei den Betroffenen und für die Gesellschaft als Ganzes.» Was kommt da auf die Schweiz zu, auf Städte ebenso wie auf touristische Bergregionen? Die Frage drängt sich an der Tagung immer wieder auf, während zeitgleich die Politik weiter wohn-existenzielle Rechte grosser Teile der Bevölkerung demontiert.

Parlament höhlt Schutz der Mietenden aus

Erst drei Wochen sind vergangen, seit im Bundesparlament auch die kleine Kammer das Zweitwohnungsgesetz zugunsten der Hausbesitzenden ausgehöhlt hat – «was das bedeutet, verstehen die meisten noch gar nicht», wird Manuel Arquint aus dem Wallis später am Tag sagen. Er ist eigentlich gekommen, um eine lokal gegründete Genossenschaft vorzustellen. Auch erst erahnbar sind die Konsequenzen der im Bundesparlament erfolgreichen Vorstösse aus der Immobilienwirschaft: Mietrechtliche Tragwerke zum Schutz der Mieter*innen im ganzen Land sollen zerstört werden. Die ersten beiden Referenden hat der MV bereits eingereicht.

Betroffen: Städte und Tourismusorte

An der Tagung zeigen BWO-Direktor Martin Tschirren und die wissenschaftliche Leiterin im Bundesamt für Wohnungswesen, Marie Glaser, wie besorgniserregend die Situation bereits ist. «Nach einer Zeit der Stabilität ändern sich jetzt gerade ein paar Dinge», setzt Tschirren an. Besonders von der Krise betroffen seien Städte und Tourismusregionen in den Bergen. Man sehe, wie besonders die Menschen mit den tiefsten Einkommen betroffen seien, sagt Marie Glaser: «Sie geben jetzt im Schnitt mehr als einen Drittel fürs Wohnen aus und viele müssen auf Erspartes zurückgreifen, um über die Runden zu kommen.» Dass sich das nicht in der Sozialhilfequote abbildet, habe mit dem Vermögensverzehr zu tun und damit, dass viele wohl aus Scham oder Angst keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Glaser ist auch Stiftungsrätin der Stiftung Domicil, die Wohnungen an benachteiligte Menschen vermittelt – sie weiss deshalb: «Für diese Menschen gibt es schlicht keine Wohnungen mehr.» Und dann weist sie noch darauf hin, dass «die letzten in der Kette die Kinder der Armutsbetroffenen oder -gefährdeten» seien. Mit seinem gerade bekannt gegebenen Forschungsprogramm 2024 bis 2027 will das BWO Antworten auf drängende Fragen finden – etwa dazu, wie «staatliches Handeln dazu führen kann, dass für breite Bevölkerungsschichten mehr bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung gestellt und erhalten wird». Vorerst gehe die negative Wohnkostenentwicklung aber noch weiter, sagt Martin Tschirren, «und wenn bezahlbare Wohnungen fehlen, hat das Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung». Auch dass mehr Leute längere Arbeitswege zurücklegen müssen, werde Kostenfolgen haben.

Mehr Bewusstsein ist nötig

In Workshops ermöglicht die Tagung thematische Vertiefungen. In einem geht es um die Situation in den touristischen Bergregionen. Manuel Arquint stellt die Genossenschaft zur Förderung von bezahlbarem Wohnraum im Inneren Mattertal vor. Zur prekären Situation in Zermatt, Täsch und Randa erzählt er: «Mit der neusten Aushöhlung des Zweitwohnungsgesetzes werden die Bedingungen nicht einfacher. Altrechtlicher Wohnraum ist die perfekte Spekulationsmasse.» Schon jetzt würden in seinem Tal 400 bis 500 Wohnungen für Einheimische und Arbeitende fehlen, «bei uns gibt es Leute, die im Auto schlafen». Von der Tagung, aber insbesondere von der Politik und der Gesellschaft erhofft er sich mehr Bewusstsein für die Not beim Wohnen, die sich an so vielen Orten in der Schweiz weiter verschärft.

Text: Esther Banz