Auch Mietverträge werden vererbt

Ilustration: Patric Sandri

Trauer hin oder her, bei einem Todesfall müssen sich die Hinterbliebenen mit vielen organisatorischen Dingen herumschlagen. Dazu gehört oftmals auch die Frage, was mit der Wohnung der verstorbenen Person geschieht.

Nach einem langen und erfüllten Leben ist Herbert Hugentobler am 20. Mai friedlich eingeschlafen. Kurz vor seinem Tod ist er noch in eine neue Wohnung eingezogen, die laut Mietvertrag erstmals nach einem Jahr gekündigt werden kann. Wird nun dieser Mietvertrag einfach hinfällig? Es gibt tatsächlich Mietverträge, in denen explizit erwähnt wird, dass sie mit dem Tod der Mieterschaft enden. Dies ist allerdings die Ausnahme. Hugentoblers Mietvertrag enthält keine solche Klausel. Er geht deshalb mit allen Rechten und Pflichten auf seine beiden Töchter über. Sie haften dadurch nicht nur für den Mietzins, sondern auch für allfällige Schäden, die ihr Vater zu Lebzeiten in der Wohnung verursacht hat.

Spezielles Kündigungsrecht

Hugentoblers Töchter bleiben jedoch nicht während längerer Zeit an den Mietvertrag ihres Vaters gebunden, der ihnen gar nichts nützt. Art. 266i OR gewährt ihnen ein spezielles Kündigungsrecht: Sie können den Vertrag mit der gesetzlichen Frist auf den nächsten gesetzlichen Termin kündigen. Dies gilt auch dann, wenn – wie in ihrem Fall – im Mietvertrag eine Mindestdauer steht oder wenn eine längere Kündigungsfrist vereinbart wurde. Für Wohnungen beträgt die gesetzliche Frist drei Monate, für Geschäftsräume deren sechs. Der gesetzliche Termin hängt davon ab, was ortsüblich ist, Kündigungsfrist und -termin werden ab dem Todestag berechnet. Da Hugentobler am 20. Mai verstorben ist und der Kündigungstermin nach Ortsgebrauch auf den 31. März, den 30. Juni oder den 30. September fällt, können seine Töchter den Mietvertrag per 30. September kündigen. Die Kündigung muss spätestens am 30. Juni bei der Vermieterschaft eintreffen. Achtung: Das ausserordentliche Kündigungsrecht gemäss Art. 266 i OR muss beim erstmöglichen Termin ausgeübt werden. Sonst verlieren die Töchter ihr Recht und müssen sich dann an die vertraglichen Kündigungsmöglichkeiten halten. Verstirbt eine Person kurz vor einem Kündigungstermin, räumt man den Erb*innen in der Regel eine Bedenkfrist von rund zwei Wochen ein.

Ordentliche Kündigung möglich

Selbstverständlich sind Hugentoblers Töchter nicht gezwungen, von diesem ausserordentlichen Kündigungsrecht Gebrauch zu machen. Sie können das Mietverhältnis auch unter Einhaltung der im Mietvertrag festgelegten Fristen und Termine kündigen. Zudem haben sie – wie alle Mietenden – das Recht, jemanden als Nachmieter*in zu suchen. Finden sie eine zumutbare und zahlungsfähige Person, die den Mietvertrag zu den bisherigen Bedingungen übernehmen möchte, muss der Vermieter sie vorzeitig aus dem Vertrag entlassen (Art. 264 OR). Diese Möglichkeit empfiehlt sich in der Regel dann, wenn der Mietvertrag länger nicht kündbar ist und die Erb*innen das ausserordentliche Kündigungsrecht gemäss Artikel 266i verpasst haben.

Schwerfällige Erbengemeinschaft

Wichtig: Die Kündigung von Hugentoblers Mietvertrag muss von seinen beiden Töchtern unterschrieben werden. Denn gemäss Gesetz bilden die verschiedenen vom Erbe begünstigten Personen eine Gemeinschaft – die sogenannte Erb*innengemeinschaft. Diese kann nur einstimmig entscheiden, weshalb eine Kündigung von alle unterschrieben werden muss. Eine Ausnahme gilt, wenn eine einzelne Person für die Vertretung der Erbinnen bevollmächtigt ist. In der Praxis werden diese Formalitäten oft nicht eingehalten. Oft kommt es vor, dass nur eine Person die Kündigung unterzeichnet, ohne über eine entsprechende Vollmacht zu verfügen. Häufig gibt es dennoch keine Probleme, weil die Vermieterschaft die Kündigung akzeptiert. Darauf verlassen sollte man sich jedoch nicht.

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Exkurs ins Erbrecht

Nach schweizerischem Recht übernehmen die Erbinnen mit dem Tod einer Person alle deren Rechte und Pflichten. Sie erben deshalb nicht nur das Vermögen, sondern auch allfällige Schulden. Um sich vor einer überschuldeten Erbschaft zu schützen, kann diese ausgeschlagen werden. Die Erb*innen müssen die Ausschlagung innert dreier Monate mündlich oder schriftlich bei der zuständigen Behörde erklären. Für Verwandte, die von Gesetzes wegen erben, beginnt diese Frist an dem Tag zu laufen, an dem sie vom Tod der betreffenden Person erfahren haben. Für eingesetzte Erb*innen beginnt sie dann, wenn sie von der Nachlassbehörde über die Erbberechtigung informiert worden sind. Bei Nichtausschlagung innert der genannten Frist gilt die Erbschaft als angenommen. Ein Sonderfall gilt für eine offensichtlich überschuldete Erbschaft. In diesem Fall gehen die Behörden automatisch davon aus, dass sie ausgeschlagen wird. Wer den Nachlass dennoch antreten will, muss dies ausdrücklich erklären. Ausschlagende Erb*innen schulden keinen Mietzins für die Wohnung der verstorbenen Person. Schlagen sämtliche begünstigten Personen die Erbschaft aus, hat die Vermieterschaft Pech. Dann wird über den Nachlass der Konkurs eröffnet, wobei die Vermieterschaft häufig leer ausgeht.

Eheliche Wohnung nach dem Tod

Kompliziert wird es, wenn die verstorbene Person das Mietobjekt mit jemandem gemeinsam gemietet hat. Dann können die Erb*innen nur kündigen, wenn alle Mitmietenden die Kündigung mitunterzeichnen. Das gilt sowohl für eine ausserordentliche Kündigung gemäss Artikel 266i als auch für eine reguläre gemäss Mietvertrag. Handelt es sich um die Wohnung eines Ehepaars, und die überlebende Person will in der Wohnung bleiben, ist es meist zweckmässig, nicht zu kündigen. Die übrigen Erb*innen – meistens die Nachkommen – haften in diesem Fall aber zusammen mit der überlebenden Person für den Mietzins.


Kündigung durch Vermieterschaft

Die Vermieterschaft hat bei einem Todesfall übrigens kein ausserordentliches Kündigungsrecht. Und selbst eine reguläre Kündigung könnte sich als missbräuchlich erweisen: Würde eine Vermieterin der Witwe eines verstorbenen Mieters kündigen und wäre der Grund für die Kündigung dessen Tod, so könnte die Witwe diese Kündigung mit
guten Erfolgsaussichten anfechten. Sind neben der Witwe noch weitere Personen durch die Erbschaft Mietpartei geworden, müsste die Kündigung grundsätzlich von allen am Erbe beteiligten Personen angefochten werden. Haben die anderen Beteiligten allerdings kein Interesse, die Witwe bei dem Vorhaben zu unterstützen, kann sie auch alleine
gegen die Kündigung vorgehen. In diesem Fall muss sie aber zusammen mit der Vermieterin gleichzeitig diejenigen Mit-Erb*innen einklagen, welche die Kündigung nicht anfechten wollen. In einem solchen Fall ist es angezeigt, sich vorgängig durch den Mieterinnen- und Mieterverband beraten zu lassen.

Text: Fabian Gloor