(Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde Ende 2022 geführt. In der Zwischenzeit ist der Referenzzinssatz auf 1,5 % angestiegen. Mehr dazu lesen Sie hier.)
Wann darf die Miete wegen Referenzzinssatz und Teuerung erhöht werden? Und um wie viel? Und was sollen Mietende tun, wenn sie eine Mietzinserhöhung erhalten? M+W hat mit dem MV-Mietrechtsspezialisten Fabian Gloor eine Auslegeordnung gemacht.
M+W: Fabian Gloor, können Sie uns erklären, warum ein Anstieg des Referenzzinssatzes und der Teuerung zu höheren Mieten führt?
Fabian Gloor: Gerne. Wenn man einen Mietzins berechnet, legt man fest, auf welchen Kostenständen dieser basiert. Zu diesen Kostenständen gehören unter anderem der Referenzzinssatz und die Teuerung. Diese beiden Faktoren sind aber nicht fix, sondern ändern ständig. Das Gesetz erlaubt deshalb, den Mietzins an die veränderten Faktoren anzupassen. Wenn sie steigen, können auch die Mieten erhöht werden.
Gibt es weitere Faktoren, die zu einer Erhöhung der Miete führen können?
Ja. Die Miete kann auch an die allgemeine Kostensteigerung angepasst werden, wenn der Unterhalt teurer wird oder wenn Gebühren oder Versicherungsprämien ansteigen. Eine weitere Möglichkeit zur Erhöhung entsteht, wenn wertvermehrende Investitionen in die Liegenschaft getätigt werden. Wir dürfen aber nicht vergessen: Wenn einer der genannten Faktoren sinkt, haben die Mieter*innen genauso ein Anrecht auf eine Senkung der Miete.
Darauf würde ich gerne später zurückkommen. Beginnen wir mit der Teuerung: Inwieweit kann sie auf die Mieten überwälzt werden?
Gemäss Gesetz dürfen 40 Prozent der Teuerung auf die Mieten überwälzt werden. Und zwar weil man – egal, ob es den Tatsachen entspricht oder nicht – davon ausgeht, dass Hausbesitzer*innen den Kauf einer Liegenschaft mit 60 Prozent Fremdkapital und 40 Prozent Eigenkapital finanzieren. Auf dem Eigenkapital darf die Teuerung geltend gemacht werden, darum die 40 Prozent.
Das heisst also konkret: Wenn die Teuerung 3,5 Prozent beträgt, darf meine Miete um 40 Prozent von 3,5 Prozent erhöht werden, also um 1,4 Prozent?
Genau.
Kann meine Miete jederzeit erhöht werden, sofern die Teuerung steigt?
Im Prinzip schon. Ihre Vermieterin ist aber an die Kündigungsfrist gebunden und muss zu dieser zusätzlich 10 Tage als Bedenkfrist dazurechnen. Nötig sind auch ein offizielles Formular und eine nachvollziehbare Begründung der Erhöhung. Sie als Mieterin haben im Gegenzug die Möglichkeit, die Erhöhung innert 30 Tagen anzufechten.
Wie kann ich als Mieterin überprüfen, ob eine teuerungsbedingte Erhöhung meines Mietzinses rechtens ist?
Zuerst müssen Sie herausfinden, auf welcher Teuerung Ihre aktuelle Miete überhaupt beruht. Ist es immer noch diejenige, die bei Vertragsschluss festgelegt wurde? Oder gab es bereits einmal eine Erhöhung oder Senkung oder sogar eine gerichtliche Festsetzung? Wenn man den gültigen Wert einmal gefunden hat, kann man einfach ausrechnen, ob die aktuelle Teuerung tatsächlich höher ist und, wenn ja, ob die Mietzinserhöhung dem Anstieg entspricht.
Kann ich auch umgehend eine Senkung verlangen, sobald die Teuerung wieder sinkt?
Ja, das können Sie. Natürlich müssen auch Mietende die vertragliche Kündigungsfrist und den Kündigungstermin beachten.
Bei einer Miete von 2000 Franken pro Monat macht eine Erhöhung um 1,4 Prozent 28 Franken aus. Erhöhen Hausbesitzer*innen wegen 28 Franken die Miete?
In der Rechtsberatung hatte ich bis jetzt noch keinen entsprechenden Fall. Ich habe aber von Siedlungen Kenntnis, bei denen die Mieten vor kurzem der Teuerung angepasst wurden. Wenn Sie bei 50 Wohnungen auf einmal die Mieten erhöhen können, schenkt das auch bei kleinen Beträgen ein. Der grosse «Chlapf» wird aber erst noch kommen, nämlich dann, wenn der Referenzzinssatz steigt.
Das dürfte im Verlauf dieses Jahres der Fall sein. Erklären Sie uns doch bitte kurz, was der Referenzzinssatz überhaupt für ein Wert ist.
Beim Referenzzinssatz handelt es sich um den Durchschnittszinssatz, mit dem die Hypotheken auf schweizerischen Liegenschaften verzinst sind. Der Wert wird jeweils auf Viertelprozente gerundet, zurzeit liegt er bei 1,25 Prozent. Er wird seit 2008 vierteljährlich vom Bundesamt für Wohnungswesen publiziert.
Inwiefern sind die Mieten an den Referenzzinssatz gekoppelt?
Wie ich eingangs erwähnt habe, ist der Referenzzinssatz ein Faktor bei der Mietzinsgestaltung. Man nimmt an, dass Eigentümer*innen bei der Bank eine Hypothek aufnehmen, um ihre Liegenschaft zu kaufen. Für diese Hypothek bezahlen sie einen Zins. Und diesen Zins dürfen sie auf die Mieten über-wälzen.
… und wenn der Referenzzinssatz steigt, dürfen gleich wie bei der Teuerung die Mieten erhöht werden …
Genau. Steigt der Referenzzinssatz an, können Vermieter*innen diese Mehrkosten auf die Mietenden überwälzen. Solange der Referenzzinssatz unter 5 Prozent liegt, berechtigt eine Erhöhung um ein Viertelprozent zu einer Mietzinserhöhung von 3 Prozent. So steht es im Gesetz. Machen wir ein Beispiel: Steigt der Referenzzinssatz von 1,25 auf 1,5 Prozent und beträgt der Mietzins monatlich 1000 Franken, so darf der Mietzins um 3 Prozent, also um 30 Franken erhöht werden. Aber Achtung: Das gilt nur, wenn vorher jeweils auch die Senkungen weitergegeben worden sind und die Miete auf dem aktuellen Referenzzinssatz von 1,25 Prozent beruht.
Müssen die Senkungen nicht an die Mietenden weitergegeben werden?
Leider nein. Hier liegt das grosse Problem des aktuellen Gesetzes, das die Mietenden eigentlich vor missbräuchlichen Mietzinsen schützen sollte. Mietende müssen selber aktiv werden und eine Senkung einfordern oder einen zu hohen Anfangsmietzins anfechten. Tun sie dies nicht, ist der Mietzins für die Parteien verbindlich, auch wenn er missbräuchlich ist. Eine Anfang Jahr erschienene Studie des Büros BASS hat gezeigt, dass zwischen 2011 und 2019 die Senkungen nur in einem von sechs Mietverhältnissen zumindest teilweise weitergegeben wurden. Obschon der Referenzzinssatz seit 2008 kontinuierlich von 3,5 auf 1,25 Prozent gesunken ist, sind die Mieten gestiegen. Eigentlich ein Widerspruch.
Wie kann ich herausfinden, auf welchem Referenzzinssatz meine aktuelle Miete beruht?
Massgebend ist der Referenzzinssatz, der zum Zeitpunkt galt, als Ihr Mietvertrag abgeschlossen wurde oder als sie die letzte Mietzinserhöhung erhalten haben. Die jeweiligen Zinssätze ab 2008 finden Sie auf der Website des Bundesamtes für Wohnungswesen.
Was soll ich tun, wenn ich anlässlich einer Erhöhung merke, dass mein Mietzins auf einem veralteten, zu hohen Referenzzins beruht?
Dann sollten Sie die Erhöhung anfechten und sich gleichzeitig überlegen, ob sie nicht eine Senkung einfordern wollen. Allerdings wird Ihre Vermieterin dann vermutlich die gestiegene Teuerung und eine allgemeine Kostensteigerung geltend machen, was unter Umständen negativ für Sie ausgehen kann. Es empfiehlt sich in jedem Fall, zuerst auszurechnen, ob eine Erhöhung gerechtfertigt ist oder nicht.
Kann ich das selber tun?
Wir werden auf der Website des Mieterinnen- und Mieterverbands einen Mietzinsrechner einrichten, mit dem man berechnen kann, ob eine Erhöhung gerechtfertigt ist. Die Hauptschwierigkeit bei der Berechnung ist herauszufinden, von welchen Werten man ausgehen muss, sprich: Worauf der aktuelle Mietzins beruht. Hat man das einmal, ist die Berechnung selbsterklärend. Aber: Der Mietzinsrechner rechnet nur aus, ob die Erhöhung richtig berechnet wurde. Darüber, ob der Mietzins als Ganzes rechtmässig ist, sagt er nichts aus.
Wie meinen Sie das?
Sie können gegen eine Erhöhung auch einwenden, die Vermieterschaft erziele durch diese einen übersetzten Ertrag oder der neue Mietzins liege über dem orts- oder quartierüblichen Niveau. Das müssen Sie allerdings mit einer Berechnung belegen können. Leider ist so eine Ertragsberechnung aufwändig und komplex. Auch der Beweis der Orts- und Quartierüblichkeit ist in der Praxis praktisch unmöglich zu erbringen.
Diese Berechnungen muss ich als Mieterin aber hoffentlich nicht selber machen …
Doch. Ihre Vermieterin ist zwar zur Herausgabe aller nötigen Dokumente verpflichtet, Sie als Mieterin müssen die relevanten Informationen aber selber aus der Flut an Unterlagen herausfiltern.
Entschuldigung, aber welche Mieterin kann das …?
Das ist in der Tat ein Problem unseres Systems. Es ist ohne professionelle Hilfe kaum möglich.
Egal, welche Prognose eintrifft, irgendwann in diesem Jahr wird der Referenzzinssatz steigen. Wie rasch und über welcher Zeitspanne kann meine Vermieterin dann die Miete erhöhen?
Theoretisch kann Ihre Vermieterin Ihre Miete einen Tag nach der Publikation des neuen Referenzzinssatzes erhöhen. Sie muss nur die Kündigungsfrist, eine 10-tägige Bedenkfrist und den vertraglich vereinbarten Kündigungstermin einhalten. Sie kann damit aber auch noch ein Jahr warten, bis der Referenzzinssatz weiter angestiegen ist und die zulässige Erhöhung 6 oder gar 9 Prozent beträgt. Es gibt kein Ablaufdatum. Die Vermieterin muss die Miete aber nicht zwingend erhöhen. Ist sie sich ihrer sozialen Verantwortung gegenüber unserer Volkswirtschaft bewusst, passt sie die Miete nicht an den steigenden Referenzzins an.
Wie und wie lange kann ich mich gegen eine möglicherweise unrechtmässige Erhöhung wehren?
Nachdem Ihre Vermieterin Sie über die Erhöhung in Kenntnis gesetzt hat, haben Sie 30 Tage Zeit. Wehren können Sie sich, indem Sie bei der zuständigen Schlichtungsstelle ein Gesuch einreichen. Das ist formell sehr niederschwellig. Sie brauchen bloss in einem Brief zu schreiben: Ich fechte diese Mietzinserhöhung an. Wichtig ist, dass Sie in dem Brief die richtige Vermieterin nennen und dass er von allen Mietenden unterzeichnet ist.
Was soll ich tun, wenn ich unsicher bin, ob die Erhöhung rechtmässig ist?
Ganz wichtig: Wenn Sie die Frist von 30 Tagen verstreichen lassen, gibt es nichts mehr an der Miete zu rütteln. Sie gilt als akzeptiert. Auch wenn die Erhöhung missbräuchlich ist, auch wenn frühere Senkungen nicht weitergegeben wurden. Fechten Sie eine Mietzinserhöhung deshalb lieber einmal zu viel an, zurückziehen können Sie die Anfechtung jederzeit.
Fassen wir zusammen: Wie gehe ich als Mieterin vor, wenn mir meine Vermieterin mitteilt, sie erhöhe aufgrund des Anstiegs von Referenzzinssatz und Teuerung die Miete?
Erst einmal sollten Sie die Formalitäten überprüfen: Wurde das amtliche Formular verwendet? Stimmt die Kündigungsfrist? Dann sollten Sie nachrechnen, ob die Erhöhung plausibel ist. Dafür können Sie den erwähnten Mietzinsrechner verwenden. Dieser wird Ihnen sagen, ob die Berechnung korrekt ist oder ob Sie sie anfechten sollen. Im Zweifelsfall ist es angezeigt, sich vom MV beraten zu lassen. Wichtig ist: Holen Sie eingeschriebene Briefe ab und lesen Sie sie! Und nochmals: Fechten Sie eine Erhöhung lieber einmal zu viel an als einmal zu wenig. Die Frist ist kurz und mit der Erhöhung gehen alle vorher bestehenden Ansprüche verloren.
Gespräch: Andrea Bauer